Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
sich zu schleudern, sodass die Schwärze des Zattaron für einen Augenblick wie von einer Million boshaft rot glühender Käfer erfüllt zu sein schien, bevor sie doppelt erstickend zurückkehrte.
»Bist du verrückt?«, kreischte Corinna. »Jetzt sehen wir nichts mehr!«
»Und er uns auch nicht«, antwortete Andrej. »Und wenn du aufhörst zu schreien, hört er uns vielleicht auch nicht mehr.«
Natürlich blieb Corinna sich auch jetzt wieder treu, indem sie eine patzige Antwort gab, die allerdings schon nach einigen wenigen Worten mit einem erschrockenen Keuchen abbrach, als Andrej sie nur noch schneller hinter sich herriss.
Ein wenig zu schnell.
Er spürte das Hindernis gerade noch rechtzeitig, um wenigstens nicht in vollem Lauf dagegenzuprallen, aber nicht, um ihm noch ganz auszuweichen. Ein dumpfer Schmerz explodierte hinter seiner Stirn und nur einen Sekundenbruchteil darauf in seiner linken Schulter. Es gelang ihm, einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, aber er sank auf ein Knie, und sein Griff um Corinnas Handgelenk lockerte sich. Sie nutzte die Gelegenheit, sich ganz loszureißen.
»Siehst du?«, sagte Corinna, ein paar Schritte vor ihm zurückweichend. »Das habe ich gemeint.«
»Ja, vielen Dank auch für die Warnung«, sagte Andrej gepresst. »Und bleib, wo du bist.«
»Warum?«, fragte Corinna misstrauisch.
»Du kannst auch weitergehen«, antwortete Andrej scharf. »Aber beschwer dich nicht bei mir, wenn ich dich nicht wiederfinde und du in ein paar Stunden ertrunken bist.«
Corinna widersprach nicht mehr, und nur einen Augenblick später konnte er spüren, dass sie wieder näher kam … oder sich wenigstens ungefähr in seine Richtung bewegte. Sie hätte ihn trotzdem verfehlt, hätte er nicht rasch die Hand ausgestreckt und sie aus der Dunkelheit gefischt.
»Und jetzt still«, flüsterte er. »Keinen Laut mehr.«
Zu seiner Überraschung antwortete Corinna tatsächlich nicht mehr, sondern klammerte sich schutzsuchend an ihn. Er konnte hören, wie schnell ihr Herz schlug, und ihre Angst riechen.
Erst nach ein paar Sekunden fragte sie im Flüsterton: »Aber … kann er uns nicht hören?«
Andrej hatte ihr nie verraten, wie übermenschlich scharf Abu Duns und seine Sinne wirklich waren. Die ehrliche Antwort hätte Ja gelautet. Abu Dun rumorte irgendwo in der Dunkelheit hinter ihnen, und die letzten wenigen Funken verloschen rasch. Er hörte das wütende Knirschen von Abu Duns Zähnen, aber es fiel ihm sonderbar schwer, die genaue Richtung zu bestimmen, aus der die Geräusche kamen. Dabei orientierte er sich anhand seines Gehörs beinahe so gut wie eine Fledermaus. Gegen dieses Hindernis hätte er nicht prallen dürfen, sondern es rechtzeitig spüren müssen. Aber vielleicht …
Um seine Idee zu überprüfen, grub er mit der freien Hand in der klebrigen Schlammschicht am Boden, bis er einige kleine Steinchen oder vielleicht auch Muschelschalen gefunden hatte, und warf sie dann in eine beliebige Richtung. Zahlreiche klickende und kollernde Echos antworteten auf die Bewegung, ganz wie er es erwartet hatte – doch ihre Anzahl übertraf die der geworfenen Objekte um ein Mehrfaches, und auch ihre Richtung war unmöglich festzustellen. Statt ihm zumindest eine ungefähre Vorstellung von seiner Umgebung zu liefern, schien das Klicken, Kollern und Hallen buchstäblich von überall her zu kommen, wie ein Blitzgewitter, das ihn desorientiert und verstört zurückließ.
»Gut«, murmelte er, und das eine Wort fügte dem akustischen Blitzgewitter ein neuerliches grelles Wetterleuchten hinzu, das ihn fast schwindelig machte.
»Was ist …?«, begann Corina, und Andrej hob rasch die Hand und legte ihr zielsicher den Zeigefinger auf die Lippen.
»Nichts«, sagte er so leise, wie er gerade noch konnte. »Außer dass er uns umso einfacher findet, je lauter du sprichst.«
Corinna nickte nur zur Antwort, dass sie verstanden hatte, und Andrej ließ seinen Finger deutlich länger auf ihren Lippen, als es notwendig gewesen wäre. Nicht weit entfernt stapfte Abu Dun durch die Dunkelheit. Manchmal platschte es, wenn er in eine der unzähligen Pfützen trat, und mindestens einmal hörte Andrej auch das dumpf saugende Geräusch, mit dem sein gewaltiger Krummsäbel in nasses Holz fuhr, aber auch diese Laute waren sonderbar ziellos. Es musste an diesem unglaublichen Ort liegen. Sie befanden sich in einem Labyrinth aus Hunderten und Aberhunderten Säulen aus gemauerten und natürlich gewachsenen Stützpfeilern, die die
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