Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Rezzori.
Andrej war nicht einmal überrascht, allenfalls über die Direktheit dieser Frage. »Wenn ich jetzt mit Ja antworte, muss ich dann um mein Leben fürchten?«, fragte er. Rezzori sah ihn nur ebenso wort- wie beinahe ausdruckslos an, schließlich nickte Andrej.
»Und was habt Ihr ihr angetan?«, fuhr Rezzori mit immer noch unveränderter Stimme und Miene fort.
»Nichts«, antwortete Andrej. »Oder doch. Aber es ist nichts, was Ihr verstehen würdet.«
»Oder mir Grund zur Sorge gäbe?«
»Nein«, sagte Andrej.
Noch einmal maß Rezzori ihn auf diese seltsame Weise, die Andrej zwar nicht wirklich deuten konnte, aber die so gar nicht zu diesem so harten und unnahbaren Mann zu passen schien. Doch dann nickte Rezzori knapp und setzte seinen Weg ohne ein weiteres Wort fort.
Kapitel 26
Das Zimmer, das sie betraten, hatte auf den ersten Blick eine verblüffende Ähnlichkeit mit Corinnas und dem Salon ihres Vaters – Andrej nahm an, dass es sich bei diesen um eine bewusste Nachahmung handelte –, bis hin zu dem gewaltigen Kamin, der eine fast schon unangenehme Wärme verbreitete.
Ein halbes Dutzend von Rezzoris Männern stand mehr oder weniger nervös herum, und zwei von ihnen richteten auch prompt ihre Musketen auf ihn, ungeachtet der Tatsache, dass sie damit auch ihren Herrn bedrohten. Auf einer zierlichen Chaiselongue vor dem Kamin saß Corinna wie das sprichwörtliche Häufchen Elend und wurde ebenfalls von zwei Signori in Schach gehalten. Als sie das Geräusch der Tür hörte, hob sie den Kopf und ihre Züge hellten sich auf. Doch dann erblickte sie Rezzori und sah nur noch niedergeschlagener aus. Andrej fragte sich, was zwischen ihr und Rezzori vorgefallen sein mochte. Nach dem, was der Signori ihm gerade unfreiwillig verraten hatte, konnte er sich nicht vorstellen, dass er ihr irgendetwas angetan hatte.
Ohne auf die unruhigen Blicke der Signori zu achten, ging er zu ihr und schloss sie in die Arme. Corinna presste sich zitternd an ihn, und er spürte, wie verzweifelt sie darum kämpfte, nicht in Tränen auszubrechen.
Tröstend legte er ihr die Hände auf die Schultern und lauschte zugleich in sie hinein, und es war genauso, wie er gehofft hatte: Weder Abu Dun noch Meruhe waren in der Nähe, aber er spürte etwas – nur ganz vage zwar, aber tatsächlich schon eine Spur stärker als das letzte Mal. Doch sie war auch sehr verschreckt und hatte große Angst. Nicht vor Rezzoris Männern oder ihren Waffen, sondern vor dem, was mit ihr geschah.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Keine Angst. Alles wird gut.«
Corinna klammerte sich umso fester an ihn, und obwohl sie sich gut genug in der Gewalt hatte, um keinen Laut von sich zu geben, fühlte er jetzt doch ihre heißen Tränen an seinem Hals.
»Contessa.« Rezzori räusperte sich. »Ich hoffe, Ihr habt Euch ein wenig erholen können.«
Weder Corinna noch Andrej sagten etwas. Corinna zog nur hörbar die Nase hoch, und Rezzori räusperte sich noch einmal und noch unechter. »Lasst uns allein«, sagte er schließlich mit fester Stimme.
Diesmal widersprach niemand. Die Männer schulterten ihre Waffen und gingen rasch und mit fast militärisch präzisen Bewegungen hinaus.
Corinna drehte sich mit einem Ruck weg, sodass Rezzori ihr Gesicht nicht sehen konnte. Ihre Schultern bebten, und Andrej wollte nichts mehr, als sie in die Arme zu schließen und an sich zu drücken, aber aus irgendeinem Grund wagte er es plötzlich nicht mehr, sie zu berühren. Schließlich fuhr sich Corinna mit dem Handrücken über das Gesicht, zog laut die Nase hoch und drehte sich dann sonderbar steif herum. Sie wirkte erstaunlich gefasst, aber ihre Augen waren gerötet, und Andrej wusste, wie es in Wahrheit in ihr aussah.
»Geht es Euch gut, Contessa?«, fragte Rezzori noch einmal. »Ich war in großer Sorge um Euch. Was geschehen ist, tut mir aufrichtig leid. Ich werde den Mann bestrafen, der auf Euch geschossen hat.«
»Weil er ein so schlechter Schütze ist?«, fragte Corinna.
Rezzori setzte zu einer Antwort an, beließ es aber dann bei einem neuerlichen Seufzen und einem sehr langen und unmöglich zu deutenden Blick, mit dem er sie von Kopf bis Fuß maß. Corinna trug ein anderes, für ihre Verhältnisse ungewohnt einfaches Kleid, auf dem keine Blutflecken mehr zu sehen waren. Aber Rezzori hatte sie gesehen, genauso wie die Wunde in ihrer Seite, wo sie von der Gewehrkugel gestreift worden war.
»Hört mir zu, Contessa«, sagte Rezzori schließlich. Seine Stimme klang
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