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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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nicht, dass er mehr darüber wusste als irgendein Sterblicher. Vielleicht gab es dort nichts.
    Wenn es so war, dann würde er die große Leere begrüßen. »Oh, ja, ich werde dich bestrafen, Vater«, sagte Corinna, mit einem Male, ohne zu lächeln, und mit einer Stimme, die sich anhörte, als spiele sie auf einer Harfe aus Glas. »Aber nicht mit dem Tod. Das wäre zu leicht. Ich will, dass du lebst, Vater. Ich bin dreihundert Jahre durch die Hölle gegangen. Welche Strafe wäre da dein Tod? Ich strafe dich mit Großzügigkeit. Ich will, dass du lebst. Du hast mich getötet, und ich schenke dir dafür die Ewigkeit.« Sie gab dem Mann hinter Andrej einen Wink. »Mach ihn los.«
    Nun war Andrej vollkommen fassungslos. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn töten würde; wenigstens nicht jetzt und nicht schnell. Aber sie würde ihn gewiss nicht einfach so gehen lassen.
    Dennoch wurden seine Ketten gelöst, und Corinna/Marius machte eine zusätzliche auffordernde Geste.
    »Du … lässt mich gehen?« fragte er überrascht.
    »Du hast deinen Sohn gesucht.« Das Corinna-Ding lachte böse und deutete auf den weißhaarigen Knaben. »Du hast ihn gefunden. Bist du nicht deshalb hergekommen?«
    Natürlich war das nicht alles. So billig würde Marius ihn nicht davonkommen lassen. Nicht das rachsüchtige, durch und durch böse … Ding, zu dem er geworden war. Andrej rührte sich nicht.
    »Du traust mir nicht, Vater«, seufzte Corinna. »Das verletzt mich. Schon wieder. Warum musst du mir immer wieder wehtun? Was habe ich dir getan, dass du deinem eigenen Kind so misstraust?«
    Andrej antwortete auch darauf nicht, und nach einer weiteren schier endlosen Sekunde seufzte Corinna enttäuscht. »Du willst nicht gehen? Dann willst du vielleicht bei mir bleiben? Es würde dir gefallen, glaub mir.«
    »Warum bringst du es nicht zu Ende?«, fragte Andrej ruhig. »Es gibt nichts mehr, was du mir noch antun könntest.«
    »Ich will dir nichts antun, Vater«, antwortete Corinna. Sie klang ehrlich verletzt. »Ich bin dein Kind. Kinder sollten ihren Vätern nichts tun, ganz egal, welches Leid diese ihnen umgekehrt auch zugefügt haben mögen. Nein, ich meine es ganz ehrlich. Komm zu mir, und ich zeige dir Dinge, die du dir nicht einmal in deinen wildesten Träumen vorstellen kannst.«
    Andrej sah sich demonstrativ um. Er blickte in leere Gesichter, Augen, die nicht länger die Fenster zur Seele waren, sondern nur noch schwarze Abgründe, in denen nicht einmal mehr Platz für Furcht war. »Ja«, sagte er bitter. »Das sehe ich.«
    »Du weißt gar nichts«, antwortete Corinna verächtlich. »Du hast dem guten Dottore wirklich Unrecht getan, weißt du das eigentlich? Du hättest keinen besseren Ort auf der Welt finden können, um für deinen Sohn zu sorgen.«
    Fast widerwillig drehte Andrej sich noch einmal zu dem weißhaarigen Knaben um und sah ihn traurig an. Der Junge saß noch immer in derselben weit nach vorne gebeugten Haltung da, mit leerem Blick und erschlafften Zügen, und daran würde sich auch nie wieder etwas ändern. Das Leben, das einmal in ihm gewesen war, die heilige Flamme, war fort, nicht erloschen, sondern ihm entrissen; aufgesogen und verzehrt von dem Ding, das für eine Weile in ihm gewohnt hatte.
    »Ja, man sieht es ihm an«, sagte er bitter. Er fühlte sich schuldig; so sehr, dass es fast wehtat. Dieser bedauernswerte Junge hatte nichts getan. Sein einziges Verbrechen hatte darin bestanden, seinen Weg zu kreuzen. Er begann zu begreifen, was Corinna gemeint hatte, als sie sagte, dass seine Strafe darin bestehen würde zu leben.
    War es denn wirklich sein Fluch, jedem den Untergang zu bringen, der ihm begegnete?
    Er riss seinen Blick von dem toten und doch auf furchtbare Weise lebendig scheinenden Jungen los und sah Corinna an, und noch schlimmere und noch schmerzhaftere Erinnerungen überkamen ihn: Der süße Geschmack ihrer Lippen, die zerbrechliche Schönheit ihres mädchenhaften Körpers und ihre Jugend, das kostbarste Gut des Menschen überhaupt.
    Wie lange würde es wohl dauern, bis auch sie zu einer ausgebrannten leeren Hülle geworden war?
    »Oh, keine Sorge«, sagte Corinna kichernd, und Andrej begriff, dass sie seine Gedanken gelesen hatte. »Wenn du Angst um meine Schönheit hast, das musst du nicht. Sie wird so lange erhalten bleiben, wie du es möchtest.« Sie fuhr sich aufreizend mit der Zungenspitze über die Lippen. »Und wenn du dich irgendwann einmal an diesem Körper satt gesehen hast oder einen

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