Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Schuh. »Bis du zurück bist, bin ich wahrscheinlich bis zum Hals im Morast versunken. Außerdem seid Ihr nicht meine Gouvernante, Signore Delãny«, sagte sie wie ein verstocktes Kind, das seine Suppe nicht essen will. »Ganz, wie Ihr meint, Signorina«, erwiderte er. »Dann folgt mir einfach.«
Und damit schlug er seinen Mantel zurück und rannte los, so schnell er konnte.
Corinna fiel so bald zurück, dass ihr empörter Ausruf sein Ohr kaum noch erreichte. Andrej empfand kindische Schadenfreude, als er über die Schulter zu ihr zurücksah und sah, wie sie mit finsterer Miene hinter ihm herstapfte. Vermutlich konnte sie noch von Glück sagen, wenn sie sich nur ihre Schuhe ruinierte.
Als er den Blick wieder nach vorne wandte, gewahrte er einen gewundenen Trampelpfad zwischen den Feldern vor sich und ging darauf zu. Wieder auf festerem Boden zurück, beschleunigte er seine Schritte noch mehr, und das, was Corinna als Bauernhof bezeichnet hatte, kam nun rasch näher – im Grunde nicht mehr als ein lang gestrecktes eingeschossiges Haus mit winzigen Fenstern und einem spitzen Dach, das auf einer Seite eingesunken und niemals richtig repariert worden war. Eine Anzahl kleinerer Nebengebäude, die sich in noch schlechterem Zustand befanden, drängte sich wie eine Herde verängstigter Jungtiere um die schäbige Ruine, und vor langer Zeit musste es auch einmal eine steinerne Einfriedung gegeben haben, von der jetzt nur noch knöchelhohe Reste zu sehen waren. Andrej war noch gute hundert Schritte entfernt, als er auch schon begriff, dass er zu spät kam.
Auf halber Strecke zwischen der Mauer und dem Haus lag der Kadaver eines großen Hundes, dem jemand das Genick gebrochen hatte. Die Tür zum Haus war eingeschlagen worden und hing schräg in den Angeln. Lärm drang aus dem Haus: Schreie, ein dumpfes Poltern, hastige Schritte und das Scharren von Metall, das über Stein oder Holz schrammte.
Andrej fluchte ungehemmt und wäre in seiner Hast beinahe über den toten Hund gestolpert. Mit einem ausgreifenden Schritt fand er sein Gleichgewicht wieder, stürzte mehr durch die Tür, als er lief, und sah seine schlimmsten Befürchtungen nicht nur bestätigt, sondern übertroffen.
Der Raum, der das gesamte Innere des Hauses einnahm, glich einem Schlachtfeld. Wenn es einmal eine Einrichtung gegeben hatte, so lag sie nun in Trümmern, und er erblickte gleich drei Männer, die reglos am Boden lagen oder sich vor Schmerz krümmten. Die Füße eines vierten (den er voller Schrecken als Enrico identifizierte) strampelten in fast einem halben Meter Höhe über dem Boden, weil Abu Dun den unglückseligen Mann am ausgestreckten Arm vor sich hielt. Die andere Hand des Nubiers war zur Faust geballt und holte genau in diesem Augenblick aus, um in Enricos Gesicht zu krachen und es zu zermalmen.
»Abu Dun!«, schrie Andrej. »Nicht!«
Er wartete nicht, ob Abu Dun auf seine Warnung reagierte, sondern war mit einem Satz bei ihm und versuchte seinen Arm zurückzureißen, wobei er allerdings selbst mit nach vorne geschleudert wurde. Immerhin traf die Faust den Muschelfischer nicht, sondern streifte nur seine Schulter. Andrej hörte trotzdem den trocken knirschenden Laut, mit dem das Gelenk aus der Pfanne sprang, und einen Sekundenbruchteil später Enricos gequälten Schrei.
Abu Dun schüttelte ihn ab, ließ ein gereiztes Knurren hören und warf Enrico quer durch den Raum, sodass er auf eines der letzten stehen gebliebenen Möbelstücke fiel und es unter sich zermalmte.
»Du kommst spät, Hexenmeister«, knurrte er. »Und du mischst dich in Dinge, die dich nichts angehen!«
Andrej rappelte sich auf, las in Abu Duns Augen, dass der gefährliche Moment vorüber war, und warf einen raschen Blick in die Runde, bevor er sich wieder dem Nubier zuwandte. Erst jetzt bemerkte er zwei weitere Gestalten, die sich angstvoll in die entfernteste Ecke zurückgezogen hatten: Gina und den Jungen. Balean war vor Schrecken erstarrt und sah, aus aufgerissenen Augen und ohne zu blinzeln, zu dem tobenden Nubier hoch, der ihm wie ein Dämon aus einer fremden Welt vorkommen musste, der ohne Vorwarnung über sie gekommen war. Auch in den Augen der Frau las er nichts als Furcht, aber auch eine Entschlossenheit, die ihm zu denken gab.
»Was geht hier vor?«, herrschte er Abu Dun an. »Bist du verrückt geworden?«
Abu Dun würdigte ihn keiner Antwort, sondern schürzte nur abfällig die Lippen, sah sich einen Moment lang stirnrunzelnd in dem verwüsteten Zimmer um und
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