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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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einen Moment, als wäre es ihm unangenehm weiterzusprechen. »Es war … anders herum. Er war mein Bruder, und man soll nicht schlecht über Tote reden, aber er war ein schlimmer Weiberheld. Kein Rock war vor ihm sicher, und das hat ihm schon eine Menge Ärger eingebracht, auch mit seiner Frau. Wahrscheinlich hätte sie ihn eines Tages umgebracht, wenn es anders gekommen wäre.«
    »Diese Frauen«, drängte Abu Dun, »wie haben sie ausgesehen?«
    »So wie Ihr«, antwortete Enrico, nachdem er den Nubier mit einem Blick von Kopf bis Fuß gemustert hatte, der ganz gewiss nicht nötig gewesen war. »Nicht so groß, aber sie waren genauso gekleidet, und ihre Gesichter waren genauso schwarz.«
    »Alle beide?«, vergewisserte sich Andrej.
    Enrico brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln. »Es waren drei.«
    Andrej tauschte einen vielsagenden Blick mit Abu Dun. »Und sie waren alle gleich?«
    »Nein«, antwortete Enrico nervös. »Die eine war … anders. Ich weiß nicht, wieso.«
    »Sie hatte anderes Haar«, vermutete Abu Dun.
    »Das konnte ich nicht erkennen«, erwiderte der Fischer. »Es war … etwas mit ihrem Gesicht. Ihren Augen. Aber ich weiß nicht, was.«
    »Meruhe«, sagte Abu Dun.
    Andrej gewahrte einen Schemen hinter ihm – Corinna, die nun mit schnellen Schritten näher kam. »Weiter«, sagte er. »Und beeil dich.«
    Auch der Fischer sah kurz in Richtung des näher kommenden Mädchens, fuhr aber gehorsam und sich einer schnelleren Sprechweise befleißigend fort: »Viel mehr kann ich Euch nicht sagen. Gina und mein Bruder hatten wieder einmal Streit an jenem Abend. Ich glaube, es ging darum, dass er der Fremden schöne Augen gemacht hat. Irgendwann ist er wütend aus dem Haus gerannt, und Gina hat ihm noch nachgerufen, dass sie ihm den Tod wünscht.«
    »Und den hat er ja dann auch gefunden.«
    Enrico nickte, und ein Schatten huschte über sein Gesicht, als wäre ein großer Vogel vor der Sonne vorbeigeflogen. »Und sie macht sich auch große Vorwürfe deshalb. Natürlich weiß jedermann, dass das Unsinn ist, aber sie gibt sich trotzdem die Schuld an seinem Tod.«
    »Und was ist wirklich geschehen?«
    »Das weiß ich nicht«, behauptete Enrico. »Sie haben ihn am nächsten Morgen in der Apfelplantage gefunden. Er war einfach tot, versteht Ihr? Nur so, ich meine, er war …«
    Als er nicht weitersprach, half Andrej ihm auf die Sprünge: »Er hatte keine Verletzung, willst du sagen. Niemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten oder ihm das Genick gebrochen oder so etwas.«
    »Ja.« Ganz flüchtig flackerte Misstrauen in seinen Augen auf und erlosch beinahe sofort wieder. Trotzdem fragte er: »Woher wisst Ihr das?«
    »Weil du es gerade selbst gesagt hast«, polterte Abu Dun. »Dass er nicht verletzt war.«
    Corinna schloss nun mit wenigen weit ausgreifenden Schritten zu ihnen auf. Sie war sichtlich außer Atem und von Kopf bis Fuß mit Schlamm bespritzt, setzte aber trotzdem dazu an, eine empörte Frage zu stellen, doch Andrej wandte sich mit erhobener Stimme an den Fischer:
    »Wenn das alles so war, wie du sagst, warum habt ihr dann gestern versucht, uns umzubringen?«
    Der unsichere Blick in Abu Duns Richtung, den Enrico sich nicht verkneifen konnte, machte recht deutlich, dass der Anschlag wohl nicht, wie von Andrej behauptet, ihnen beiden gegolten hatte. Dennoch antwortete er hastig: »Das war nicht unsere Absicht, ich schwöre es bei meiner Seele! Balean ist zu uns gekommen und hat von einem schwarzen Mann gesprochen, und wir wollten nur mit ihm reden, das ist die Wahrheit.«
    »Mit einer Muskete in der Hand?«, fauchte Abu Dun.
    »Und worüber?«, fragte Andrej, schon um Enrico die Peinlichkeit einer Antwort zu ersparen, die er nur schwer geben konnte.
    »Gina«, antwortete Enrico unbehaglich. »Meine Schwägerin. Sie wollte ihn sehen. Das ist alles. Ich war dagegen, aber sie hat darauf bestanden. Vielleicht hat sie gehofft, von ihm etwas über diese Frauen zu erfahren.« Abu Dun und er hatten ihn praktisch in die Zange genommen, aber es gelang ihm trotzdem, ihren beiden Blicken auszuweichen. »Wir hatten nicht vor, jemandem etwas anzutun, das müsst Ihr mir glauben. Es ist … einfach so passiert!«
    »Einfach so?«, rief Corinna ungläubig. Andrej sah sie überrascht an. Er hatte angenommen, sie würde die Partei des Fischers ergreifen. »Du meinst, ihr hättet fast einfach so einen Menschen umgebracht?« Sie warf einen fast verlegenen Blick zu Andrej hoch.

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