Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
eigenen Rat hören und von hier verschwinden.
Vielleicht hatte er ihn sogar schon gefunden.
Andrej spürte eine Bewegung hinter sich, fuhr herum und sah gerade noch einen Schatten hinter dem nächsten Haus verschwinden, zu schnell, um ihn selbst mit seinen scharfen Sinnen zu erfassen. Er hatte nur einen flüchtigen Eindruck von etwas sehr Großem und Dunklem mit wehenden Umrissen.
Abu Dun? Was machte der denn hier?
Ohne den Namen des Nubiers zu rufen, rannte er hinter ihm her, stürmte um die Ecke und sah wieder nur einen Schatten, der hinter der nächsten Biegung verschwand, beschleunigte seine Schritte aber nur noch mehr. Es gab nur sehr wenig, worin er Abu Dun körperlich überlegen war, aber Laufen gehörte eindeutig dazu.
Nur noch ein kurzes Stück hinter dem Nubier erreichte er auch die nächste Abzweigung, bog ab und rannte noch zwei oder drei Schritte weiter, bevor er doch langsamer wurde und schließlich enttäuscht stehen blieb.
Vor ihm endete der Stadtteil. Es gab noch zwei Häuser auf der rechten und eines auf der linken Seite, dahinter war der Boden trotz des von Raureif bedeckten Matsches als fruchtbare Ackerkrume zu erkennen, die nur auf das Erwachen des Frühlings wartete. Wo er die Gestalt des flüchtenden Nubiers erwartete, erhob sich die erste Baumreihe einer ordentlich gepflanzten Obstplantage, die sich so weit erstreckte, wie er sehen konnte. Abu Dun dorthin zu folgen wäre sinnlos gewesen. Trotz seiner Größe vermochte sich der nubische Riese nicht nur vollkommen lautlos zu bewegen, sondern hinterließ auch keine Spuren, wenn er es nicht wollte.
Doch warum lief Abu Dun vor ihm davon?
Enttäuscht (und ein bisschen ärgerlich auf sich selbst, dass er sich so leicht hatte übertölpeln lassen) ging er zurück. Corinna stand vor der Tür und erwartete ihn mit missbilligender Miene.
»Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, sagte er, bevor sie den Mund öffnen konnte. »Aber ich muss mich wohl getäuscht haben.«
»Dafür war ich umso erfolgreicher«, antwortete sie in leicht schnippischem Ton. »Wir sind auf dem richtigen Weg. Der Hof liegt gleich hinter der Apfelplantage. Sie muss ganz hier in der Nähe sein.«
»Ich weiß, wo das ist«, sagte Andrej, erfreute sich ganz ungeniert an ihrem verblüfften Blick und lief dann los – gerade so schnell, dass sie mithalten konnte, wenn auch mühsam.
Die Insel Sant Erasmo, die von den Einheimischen auch Garteninsel genannt wurde, machte ihrem Namen alle Ehre. Die Obstplantage war deutlich größer als so manches Dorf, durch das sie auf dem Weg in die Stadt gekommen waren, und selbst jetzt im Winter ein fast undurchdringliches Dickicht, sodass er mehr als einmal in Versuchung war, seine Waffe zu ziehen und sich den Weg mit Gewalt frei zu hacken. Danach schlossen sich Reihen um Reihen ordentlich auf den Frühling vorbereiteter Äcker und Beete von fast schon absurden Ausmaßen an, auf denen Gemüse, Feldfrüchte, aber auch Blumen angepflanzt wurden, wie Corinna ihm auf dem Weg hierher verraten hatte.
Worauf sie ihn nicht vorbereitet hatte, war die schiere Größe Sant Erasmos – auch wenn er sich jetzt sagte, dass er sich das eigentlich hätte denken können: Immerhin versorgte diese eine Insel einen Großteil der Stadt mit Lebensmitteln. Die schlafenden Felder schienen sich meilenweit zu erstrecken, und der Hof, von dem Corinna gesprochen hatte, war mindestens eine Meile entfernt, wenn nicht zwei, sodass er beinahe nicht glauben konnte, dass sie sich tatsächlich auf einer Insel befanden.
»Und du bist sicher, dass Baleans Familie dort lebt?«, fragte er.
Corinna blickte missmutig auf ihre Schuhe hinab, die der schlammige Weg, auf den sie auf der anderen Seite der Apfelplantage gelangt waren, ruiniert hatte. »Jedenfalls hat man mir das gesagt. Der Hof steht schon seit Jahren leer, und niemand hat etwas dagegen, wenn sie den Winter hier verbringen, bis sie ihre Arbeit wieder aufnehmen können. Die Leute hier sind sehr gastfreundlich.«
Während er Corinnas Worten lauschte, ließ er seinen Blick noch einmal aufmerksam über die brachliegenden Felder schweifen. Von Abu Dun war weit und breit nichts zu sehen, auch wenn er seine Anwesenheit nach wie vor zu spüren glaubte. Da war etwas. Das intensive Gefühl, angestarrt zu werden.
»Dann wartest du hier auf mich«, sagte er, vielleicht eine Spur barscher, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
»Kommt nicht infrage«, erwiderte Corinna auch prompt und wedelte mit ihrem ruinierten rechten
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