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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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offenbar doch zugehört. »Was hat er getan? Laut gehustet oder zweimal in einer Minute geblinzelt?«
    »Man kann auch erregt sein, ohne etwas zu sagen oder sich zu bewegen«, belehrte ihn Innozenz, sah Andrej dabei aber weiter mit großem Ernst an. »Ich weiß nicht genau, was ich von Euch halten soll, Signore Delãny. Ein Teil von mir möchte Euch verachten, wie es einem Mann zusteht, der sich so wenig um sein eigen Fleisch und Blut zu scheren scheint, wie Ihr es tut. Und ein anderer Teil sagt mir, dass Ihr im Grunde Eures Herzens ein guter Mensch seid, auch wenn Euch ein dunkles Geheimnis umgibt.«
    »Vielleicht ist ja beides wahr«, antwortete Andrej.
    »Ich bitte Euch nur um eines«, fuhr Innozenz fort. »Fügt diesem armen Jungen nicht noch mehr Leid zu, als er ohnehin schon ertragen muss.« Sie hob rasch die Hand, obwohl er gar nicht vorgehabt hatte zu widersprechen. »Ich habe nicht vergessen, was Ihr über ihn gesagt habt. Dass er gefährlich ist und schreckliche Dinge getan hat. Vielleicht ist das sogar die Wahrheit. Aber ich fühle auch, dass er tief in seinem Inneren nichts als ein verängstigtes Kind ist, dem großes Leid zugefügt wurde und das sich nach Liebe sehnt.«
    »Hat er das gesagt?«, spöttelte Abu Dun. Innozenz würdigte ihn keines Blickes, aber einer der beiden Männer – der größere – unterbrach seine Tätigkeit und sah den Nubier finster an.
    »Ich werde ihm nicht wehtun«, versprach Andrej.
    Das schien Innozenz zu genügen. Sie drehte den Schlüssel, entfernte das Vorhängeschloss und zog zuerst den Riegel zurück, dann die schwere Tür auf.
    Gebückt betrat er die Zelle, wartete, bis Abu Dun ihm gefolgt war, und schüttelte dann den Kopf, als Corinna sich ihnen anschließen wollte. Enttäuschung malte sich auf ihrem Gesicht, aber sie zog sich schweigend zurück.
    Andrej zog die Tür hinter ihr zu und betrachtete lange die weißhaarige Gestalt auf dem Bett. Das blasse Licht der kleinen Sturmlaterne, die die Zelle beleuchtete, ließ Marius’ Gesicht noch fahler erscheinen, und sein Haar glänzte, als wäre es weiß lackiert. Er hatte weder auf ihr Eintreten reagiert, noch war in seinen Augen etwas zu erkennen, das an Leben erinnerte. Dennoch wechselte Andrej erneut die Sprache und sagte mit gesenkter Stimme und auf Deutsch: »Wir müssen reden, Pirat.«
    Abu Duns Blick flog zwischen Marius und Andrej hin und her. Er schwieg, und in dem Dämmerlicht war es Andrej unmöglich, in seinem Gesicht zu lesen. »Du hattest recht«, begann Andrej nach kurzem Zögern. »Wir hätte Marius nicht in Meruhes Obhut geben dürfen. Ich muss Abbitte leisten.«
    »Warum erzählst du mir nicht etwas, das ich noch nicht weiß«, knurrte Abu Dun. Natürlich genoss er die Situation, und Andrej war klar, dass er sie bis zum Letzten auskosten würde.
    »Wir verschwinden von hier«, fuhr er fort. »Gleich morgen früh. Ich sage dem Dottore Bescheid, damit er alles vorbereitet. Sobald es hell wird, holen wir Marius und machen uns auf den Weg nach Konstantinopel.«
    »Kommen wir da nicht gerade her?«, wollte Abu Dun wissen.
    »Ist das nicht offensichtlich?«, gab Andrej leise zurück., Als Abu Dun keine Anstalten machte, darauf zu antworten, fuhr er deutlich lauter fort: »Mein Sohn geht hier vor die Hunde, Abu Dun. Wir müssen irgendetwas tun. Und da ist Konstantinopel die beste Anlaufstelle für uns – schließlich treffen dort Abend- und Morgenland aufeinander, dort gibt es Ärzte und Heiler, die einen viel tieferen Einblick in die Abgründe des Seins haben als irgendwo sonst!«
    Abu Dun nickte. »Es ist doch immer wieder die Weisheit des Morgenlandes, die lockt.«
    »Mich lockt die Aussicht auf Heilung für Marius«, antwortete Andrej ernsthaft. »Wir müssen jemanden auftreiben, der ihm wirklich helfen kann.«
    »Und Meruhe?«, fragte Abu Dun.
    Hatten sie jetzt endgültig die Rollen getauscht? »Du hast die Fischer gehört. Es ist ein halbes Jahr her, dass irgendjemand sie gesehen hat. Sie sind nicht mehr in der Stadt. Und selbst wenn, finden wir sie nicht.«
    »Vielleicht finden sie ja uns«, sagte Abu Dun, sah aber dabei nicht ihn, sondern den Jungen an, als erwarte er von Marius eine Antwort, nicht von Andrej.
    »Das hätten sie längst, wenn sie es wollten«, beharrte Andrej. »Es gibt keinen Grund mehr, noch länger in dieser Stadt zu bleiben.« Er deutete auf Marius. »Deine Freundin Innozenz hat recht. Der Junge leidet.«
    »Und das hat er dir gesagt?«, vermutete Abu Dun spöttisch.
    »Nein«,

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