Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
»Zwei.«
»So etwas passiert«, sagte der rasch, bevor er sich wieder an Enrico wandte. »Diese schwarzen Frauen, wohin sind sie gegangen?«
»Das weiß niemand«, antwortete Enrico. »Wir haben sie gesucht, aber sie waren nicht mehr da. Seither hat sie niemand mehr gesehen.«
»Welche Frauen?«, mischte sich Corinna ein. »Was ist mit ihnen?«
»Nichts«, sagte Andrej rasch. »Es war genau so, wie ich es gesagt habe: ein schlimmes Missverständnis. Tu mir einen Gefallen und kümmere dich um den Jungen.« Er wies mit dem Kopf auf Balean, der nur ein paar Schritte entfernt kniete und über dem toten Hund weinte. »Er braucht Trost. Sein Hund ist ums Leben gekommen.«
»Ums Leben gekommen.« Corinna maß zuerst ihn und dann Abu Dun aus flammenden Augen. »Ja, so kann man es auch nennen.« Aber sie drehte sich gehorsam um und ging zu Balean hin, um ihm sanft die Hand auf die Schulter zu legen. Er hob nicht den Blick.
Enrico trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Das gestern Nacht …«, begann er unsicher, und Andrej unterbrach ihn. »Wir nehmen es dir nicht übel. Niemand wird etwas davon erfahren. Aber du solltest mit deiner Schwägerin sprechen. Sie wird euch noch alle in Schwierigkeiten bringen.«
»Das werde ich«, versprach Enrico. »Und ich werde auch niemandem etwas von dem verraten, was heute passiert ist.«
»Was ist denn passiert?«, erkundigte sich Abu Dun harmlos.
Enrico sah ihn verschreckt an, und Andrej sagte rasch: »Da wäre nur noch eine Sache. Ihr seid doch Fischer, oder?« Enrico nickte, und Andrej fügte hinzu: »Dann hast du doch bestimmt auch ein Boot.«
Kapitel 10
Schwester Innozenz persönlich erwartete sie am Tor und öffnete ihnen die schmale Schlupftür darin, noch bevor Abu Dun die Hand an die Tür heben und anklopfen oder sie auch kurzerhand einschlagen konnte – so schlecht gelaunt, wie er auf dem ganzen Weg hier heraus gewesen war, hätte es Andrej nicht einmal gewundert. Jetzt jedoch wirkte er verdutzt, und Andrej erging es kaum besser, als sie sich unversehens der kleinwüchsigen Ordensschwester gegenübersahen.
Enrico hatte sie nicht nur gehorsam zurückgerudert, sondern sich auch schon fast übereifrig angeboten, sie so nahe an ihr Gasthaus heranzubringen, wie es ihm mit seinem plumpen Boot auf den schmaler werdenden Kanälen möglich war. Doch Andrej hatte sein Angebot ebenso höflich wie bestimmt abgelehnt. Sosehr er Corinnas Gegenwart auch genoss, hatte er auch zwei- oder dreimal nach Vorwänden gesucht, sie wegzuschicken, was sie hingegen geflissentlich ignoriert hatte.
»Signore Delãny.« Die Barmherzige Schwester zog die schmale Tür ganz auf, machte aber keine Anstalten, den Durchgang frei zu geben, sondern maß zuerst Abu Dun mit einem sehr langen und finsteren Blick und dann ihn kaum weniger unfreundlich. Erst als sie Corinna gewahr wurde, erschien zumindest die Andeutung eines Lächelns in ihren von Falten umrandeten Augen, erlosch aber schnell wieder, als sie sich abschließend wieder zu Abu Dun umwandte und den Kopf in den Nacken legte.
»Mein Freund, der Vater des Todes«, sagte sie spöttisch. »Ich hoffe doch, du bist allein gekommen, schwarzer Mann, und hast deine Verwandtschaft nicht mitgebracht.«
»Die väterlicherseits?« Abu Dun schlug mit der flachen Hand auf den riesigen Krummsäbel an seinem Gürtel. »Wie Ihr seht, Schwester, trage ich sie stets bei mir. Ich habe sie nur festgebunden, damit sie beim Anblick einer Christenseele nicht von selbst aus der Scheide springt. Christenblut lässt sich so schwer abwaschen.«
»Worin Ihr zweifellos Erfahrung habt, Heide«, konterte Innozenz und wandte sich mit zwar strafender, aber doch freundlicherer Miene an Andrej. »Ihr kommt spät, Signore Delãny. Ich hatte schon Angst, Ihr würdet gar nicht mehr auftauchen.«
»Wir wurden aufgehalten«, antwortete Andrej, der nicht wenig erstaunt war. Schwester Innozenz hatte es sich zwar nicht nehmen lassen, ihn an jedem einzelnen der zurückliegenden Tage persönlich zu Marius zu bringen, aber dabei kein Wort mit ihm gesprochen, sodass er bisher davon ausgegangen war, sie würde seine Besuche missbilligen. Hatte er sich getäuscht?
»Aufgehalten, so?« Schwester Innozenz trat immer noch nicht zur Seite, sondern musterte ihn mit höchster Missbilligung. »Und ich möchte wetten, Ihr habt auch nicht besonders viel Zeit und müsst gleich wieder fort. Aber wahrscheinlich kann Euer Sohn noch froh sein, dass sein Vater an einem Tag wie diesem die Zeit
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