Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
gedacht? Daß du nichts unter den Sterblichen zu suchen hast, das hast du gedacht. Und da war keine Meute vermummter Dämonen, die dir das gesagt hat. Du wußtest es selbst. Auch Marius hatte nichts bei den Sterblichen zu suchen. Und ich auch nicht.«
»Das ist doch was völlig anderes.«
»Nein, keineswegs. Nur darum verachtest du das Theater der Vampire, das in genau diesem Moment an seinen kleinen Stücken bastelt, um den Leuten das Geld aus der Nase zu ziehen. Du willst die Welt nicht auf eine Weise täuschen, wie Marius das getan hat. Das trennt dich nur noch mehr von den Menschen. Du möchtest so tun, als seist du sterblich, aber die Leute zu täuschen, das macht dich wütend, das macht dich töten.«
»Damals auf der Bühne«, sagte ich, »habe ich mich offenbart. Das war das genaue Gegenteil eines Täuschungsmanövers. Ich wollte, indem ich die Ungeheuerlichkeit meines Wesens kundtat, mich wieder bei meinen Mitmenschen eingliedern. Besser, wenn sie vor mir davonlaufen, als daß sie mich überhaupt nicht sehen. Besser, wenn sie wissen, daß ich ein Monster bin, als daß ich durch die Welt schwebe, unerkannt von jenen, die ich aussauge.«
»Aber es war nicht besser.«
»Nein. Was Marius tat, war besser. Er hat niemanden getäuscht.«
»Von wegen. Er hat alle zum Narren gehalten!«
»Nein. Er hat einen Weg gefunden, sterbliches Leben zu imitieren. Eins mit den Sterblichen zu sein. Er tötete nur die Bösen, und er malte, wie Sterbliche malen. Engel und blaue Himmel, Wolken, diese Dinge habe ich gesehen, während du deine Geschichte erzähltest. Er schuf schöne Dinge. Er war weise und frei von Eitelkeit. Er hatte es nicht nötig, sich zu offenbaren. Er hatte tausend Jahre gelebt und mehr an seine Kunstwerke als an sich selbst geglaubt.« Verwirrung.
Das ist jetzt egal. Teufel, die Engel malen.
»Die sind rein metaphorisch«, sagte ich. »Und es nicht egal! Wenn du neu anfangen, wenn du des Teufels Straße wiederfinden möchtest, ist es nicht egal! Es gibt Möglichkeiten für uns, zu existieren. Wenn ich nur das Leben imitieren, nur eine Möglichkeit finden könnte…«
»Du sagst Dinge, die mir nichts bedeuten. Wir sind die von Gott Verlassenen.« Gabrielle sah ihn plötzlich an. »Glaubst du an Gott?« fragte sie. »Ja, nur an Gott«, antwortete er. »Satan - unser Meister -, der ist eine Schimäre, und das ist die Schimäre, die mich betrogen hat.«
»Dann bist du wirklich verdammt«, sagte ich. »Und du weißt ganz genau, daß deine Zuflucht zu der Bruderschaft der Kinder der Finsternis eine Flucht vor einer Sünde war, die keine Sünde war.«
Wut.
»Du sehnst dich mit ganzem Herzen nach etwas, das du nie haben wirst«, gab er mit auffahrender Stimme zurück. »Du hast Gabrielle und Nicolas auf deine Seite der Schranke geholt, aber dir war die Rückkehr auf die andere Seite versagt.«
»Wie kommt es, daß du deine eigene Geschichte nicht ein bißchen besser durchschaust?« fragte ich. »Vielleicht weil du Marius nie verziehen hast, daß er dich nicht vor ihnen gewarnt hat und dich in ihre Hände fallen ließ? Bist du fertig mit Marius, darf er dich nicht mehr inspirieren oder dir als Beispiel dienen? Ich bin nicht Marius, aber ich versichere dir, seit ich die Straße des Teufels betreten habe, habe ich nur von einem einzigen Älteren gehört, von dem ich etwas lernen könnte, und das ist Marius, dein venezianischer Meister. Er spricht jetzt im Moment zu mir. Er sagt mir etwas über eine Möglichkeit, unsterblich zu sein.«
»Reiner Spott.«
»Nein. Es war kein Spott! Und du bist derjenige, der sich mit ganzem Herzen nach etwas sehnt, das er dir nie wird bieten können: etwas, woran sich dein Glaube festmachen kann, einen neuen Bann.«
Keine Antwort.
»Wir sind kein Ersatz für Marius«, sagte ich, »oder den finsteren Gebieter Santino. Wir sind keine Künstler, an deren großartige Vision du dich halten könntest. Und wir sind keine üblen Ordensmeister, denen nur daran liegt, ganze Heerscharen ins Verderben zu stürzen. Aber genau so etwas brauchst du.«
Unwillkürlich hatte ich mich erhoben. Ich stand am Kamin und blickte auf ihn nieder.
Und aus den Augenwinkeln sah ich, wie Gabrielle kurz und zustimmend nickte. Und sie schloß ihre Augen, als wollte sie erleichtert aufstöhnen.
Er war völlig ruhig.
»Du mußt diese Leere durchleiden«, sagte ich, »und herausfinden, was dich bewegen könnte weiterzumachen. Wenn du mit uns kommst, werden wir dich enttäuschen, und du wirst uns
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