Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
immer umherschweifen zu lassen, zusammen mit seinen vermummten Dämonen, die die Gemälde in mir wieder übel zurichteten.
In meiner Trübsal mußte ich an die Berichte der Reisenden denken - daß Marius noch am Leben sei, daß man ihn in Ägypten oder Griechenland gesehen habe. Und ich wollte Armand fragen, ob es denn nicht immerhin möglich war. Marius mußte so unendlich stark gewesen sein… Aber aus Höflichkeit fragte ich nicht.
»Eine alte Legende«, flüsterte er. Seine Stimme war so klar wie seine innere Stimme. Gemächlich fuhr er fort, ohne den Blick von den Flammen zu wenden. »Eine Legende aus den alten Zeiten, ehe sie uns beide zerstört hatten.«
»Vielleicht auch nicht«, sagte ich. »Vielleicht lebt Marius.«
»Wir sind Wunder oder Schreckgespinste«, sagte er ruhig, »je nachdem, wofür du uns halten willst. Und wenn du zum erstenmal etwas über uns erfährst, sei es durch das finstere Blut oder Versprechungen oder Heimsuchungen, glaubst du, alles sei möglich. Aber dem ist nicht so. Schon bald setzt die Welt diesem Wunder enge Grenzen, und deine Hoffnung auf neuerliche Wunder schwindet. Das heißt, du gewöhnst dich an die neuen Einschränkungen, und wieder wird alles von Einschränkungen bestimmt. Sie sagen also, Marius lebe fort. Sie leben alle irgendwo fort, das ist es, was du glauben willst.
Kein einziger ist mehr in dem römischen Orden aus jener Zeit, da ich in die Rituale eingewiesen wurde; und vielleicht gibt es nicht einmal mehr den Orden selbst. Es ist schon lange Jahre her, seit ich das letztemal was von dem Orden gehört habe. Aber irgendwo müssen sie ja leben, oder? Schließlich können wir nicht sterben.« Er stöhnte. »Ist auch egal«, sagte er.
Etwas anderes war allerdings ganz und gar nicht egal, daß Armand nämlich Opfer seiner Verzweiflung zu werden drohte. Trotz seines gegenwärtigen Durstes, seines Blutverlustes durch unseren Kampf und seine enorme Körperhitze, die seine Wunden und Quetschungen heilte, sah er sich außerstande, auf Jagd zu gehen. Er blieb lieber hier und bei uns.
Aber er wußte bereits, daß er bei uns nicht bleiben konnte. Gabrielle und ich mußten es nicht laut aussprechen. Wir mußten nicht einmal einen stummen Beschluß fassen. Er wußte es einfach, so ähnlich wie Gott in die Zukunft zu blicken weiß, weil Gott über alle Tatsachen verfügt.
Unsagbare Pein. Und Gabrielles Gesichtsausdruck von Müdigkeit und Trauer gezeichnet.
»Du weißt, daß ich im Grunde nichts sehnlicher wünsche, als dich mit uns zu nehmen«, sagte ich. Ich wunderte mich über meine Gefühlsseligkeit. »Aber das wäre für uns alle eine Katastrophe.«
Er rührte sich nicht. Er wußte Bescheid. Kein Widerspruch von Gabrielle.
»Ich kann einfach nicht aufhören, an Marius zu denken«, gestand ich. Ich weiß. Und du denkst nicht an JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN, was äußerst seltsam ist.
»Das ist nichts als ein weiteres Rätsel«, sagte ich. »Und es gibt tausend Rätsel. Ich denke an Marius! Marius verstehe ich. Dich verstehe ich nicht, nicht deine Hilflosigkeit, nicht deine Verzweiflung. Ich verstehe deine ganze Tragödie nicht!«
Warum?
Schweigen.
Verdiente er die Wahrheit nicht?
»Ich bin immer ein Rebell gewesen«, sagte ich. »Du aber bist der Sklave aller gewesen, die jemals Anspruch auf dich erhoben haben.«
»Ich war der Meister meines Ordens!«
»Nein. Du warst der Sklave von Marius und dann der Kinder der Finsternis. Du bist dem Bann des einen und dann der anderen erlegen. Und jetzt leidest du darunter, daß überhaupt kein Bann mehr da ist.«
»Macht nichts«, sagte er, den Blick noch immer aufs Feuer gewandt. »Ich verlange von dir keinerlei Anerkennung, weder in Worten noch in Gedanken. Und daß dein Entschluß ohnehin feststeht. Aber ich weiß nicht, warum. Ich bin also anders geartet als du, und du kannst mich nicht verstehen. Warum soll ich deshalb nicht mit euch kommen können? Ich werde alles tun, was ihr wollt, wenn ihr mich mitnehmt. Ich werde unter eurem Bann stehen.«
Ich dachte an Marius mit seiner Palette und seinen Pinseln und den Töpfen voll Eitempera.
»Wie konntest du ihnen noch ein Wort glauben, nachdem sie diese Gemälde verbrannt hatten?« fragte ich. »Wie konntest du dich in ihre Obhut begeben?«
Erregung, aufkeimende Wut. »Und du, als du auf der Bühne gestanden bist und das aufschreiende Publikum aus dem Theater hetzen gesehen hast - wie mir das meine Anhänger geschildert haben, was hast du dir eigentlich dabei
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