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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Lebensart rein geistiger Natur war, unverseucht von den Gelüsten und Wirrungen, die die Welt ausmachten, trotz der fleischlichen Wonne des Tötens.
    Bei diesem Akt verschmolz das Geistige zwar mit dem Fleischlichen, aber seiner Überzeugung nach war es nur dem Geistigen beschieden, das Geschehen zu überleben. Dieser Akt war ihm die reinste Heilige Kommunion, das Blut der Kinder Christi diente lediglich dazu, ihm im Moment des Todes die Essenz des Lebens zu offenbaren. Nur die großen Heiligen Gottes waren seiner in dieser Geistigkeit ebenbürtig, in diesem Ringen mit dem Mysterium, in dieser Existenz aus Meditation und Weitabgewandtheit.
    Dennoch hatte er erleben müssen, wie die bedeutendsten seiner Gefährten verschwanden, sich selbst zerstörten, verrückt wurden. Er hatte mitansehen müssen, wie sich Orden unvermeidlich auflösten, wie die Unsterblichkeit die vollendetsten Kinder der Finsternis bezwang, und zuweilen kam es ihm vor, als sei es eine schreckliche Strafe, daß ihm dieses Schicksal erspart blieb.
    War es ihm bestimmt, in die Reihen der Uralten zu treten, der Kinder des Millenniums? Konnte man diesen Geschichten, die noch immer in Umlauf waren, Glauben schenken?
    Ab und zu erzählte ein umherschweifender Vampir von der sagenhaften Pandora, die in der fernen russischen Stadt Moskau gesehen worden sei, oder von Mael, der angeblich an der rauhen Küste Englands lebte. Die Wanderer sprachen sogar über Marius - daß er in Ägypten oder Griechenland aufgetaucht sei. Aber keiner dieser Fabulierer hatte diese legendären Gestalten selbst gesehen. Eigentlich wußten sie überhaupt nichts.
    Diese Geschichten wurden pausenlos erzählt. Aber Armand bedeuteten sie nichts. In stiller Treue den Pfaden der Finsternis ergeben, setzte er gehorsam seinen Satansdienst fort.
    Doch behielt er in dem Jahrhunderte währenden Gehorsam zwei Geheimnisse für sich. Und diese Geheimnisse waren sein eigentlicher Besitz, unverbrüchlicher als der Sarg, in den er sich tagsüber einschloß, oder die paar Amulette, die er trug.
    Das erste bestand darin, daß er, ungeachtet seiner Einsamkeit oder langwährenden Suche nach Brüdern und Schwestern, die ihm Trost hätten spenden können, nie die Zauber der Finsternis selbst ausrührte. Da verweigerte er sich Satan, kein Kind der Finsternis war seine Schöpfung.
    Und das andere Geheimnis, das er seinen Anhängern - und zwar ihnen selbst zuliebe - vorenthielt, war schlicht das Ausmaß seiner ständig wachsenden Verzweiflung.
    Daß er nichts begehrte, nichts hegte, schließlich an nichts mehr glaubte und nicht das geringste Vergnügen aus seiner furchtbaren Und immer größer werdenden Macht zog, nur von einem Augenblick zum anderen lebte, in einer vollständigen Leere, die nur einmal in jeder Nacht seines ewigen Lebens durch das Töten unterbrochen wurde - dieses Geheimnis hielt er von ihnen fern, solange sie ihn brauchten. Seine Angst hätte sie bloß verschreckt.
    Aber das war jetzt vorbei.
    Ein großer Kreis hatte sich geschlossen, und Armand hatte das schon vor geraumer Zeit verspürt, ohne jedoch genau zu begreifen, was da vor sich ging.
    Aus Rom drangen wirre Berichte zu ihm, schon veraltet, als sie ihm zugetragen wurden, daß Meister Santino seine Herde verlassen habe. Einige sagten, er sei in geistiger Umnachtung aufs Land gezogen, andere, er sei ins Feuer gesprungen, wieder andere, »die Welt« habe ihn verschluckt, er sei in einer schwarzen Kutsche voller Sterblicher auf Nimmerwiedersehen verschleppt worden.
    »Wir gehen ins Feuer und in die Legende ein«, hatte einer dieser Geschichtenerzähler gesagt.
    Dann hieß es, in Rom sei das Chaos ausgebrochen, dutzendweise hätten sich Meister in schwarze Gewänder gehüllt, um den Vorsitz des Ordens zu übernehmen. Und dann hieß es wieder, der Orden habe überhaupt keinen Meister.
    Seit dem Jahr 1700 waren die Nachrichten aus Italien vollständig versiegt. Ein halbes Jahrhundert lang hatte Armand weder sich noch anderen zugetraut, den ekstatischen Wahnwitz des wahren Ordens neu zu begründen. Und er hatte von seinem alten Meister geträumt, Marius in rotem Samt, hatte den Palazzo voller erregender Gemälde gesehen, und er hatte Angst gehabt.
    Dann hatte jemand anderer die Szene betreten.
    Seine Schützlinge rasten in die Gewölbe unter Les Innocents, um ihm diesen neuen Vampir zu schildern, der einen pelzbesetzten, roten Samtmantel trug und die Kirchen entweihen konnte und in strahlendem Licht herumspazierte. Roter Samt. Reiner

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