Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Zufall, aber dennoch kochte er vor Wut und fühlte sich beleidigt, ein grundloser Schmerz, den seine Seele nicht zu ertragen imstande war.
Und dann wurde diese Frau erschaffen, die Frau mit dem Löwenhaar und dem Engelsnamen, so schön und mächtig wie ihr Sohn.
Und dann hatte er seine Katakombe verlassen, um seine ganze Schar auf uns zu hetzen, so wie die Vermummten einst vor Jahrhunderten in Venedig erschienen waren, um ihn und seinen Meister zu vernichten.
Und er hatte versagt.
Er stand in diesen seltsamen Spitzen- und Brokatgewändern da. Seine Taschen waren mit Münzen gefüllt. Sein Geist schwirrte von Bildern aus den Tausenden von Büchern, die er gelesen hatte. Und er war durchdrungen von all dem, was er in Paris in den Stätten des Lichts erlebt hatte, und es war, als würde ihm sein alter Meister ins Ohr flüstern: Aber die Nächte ganzer Jahrtausende werden dir gehören, um ein Licht zu sehen, wie es keinem Sterblichen je vergönnt war, um es, als seist du Prometheus, von den fernsten Sternen zu ergattern und der wahren Erleuchtung teilhaftig zu werden.
»Alles hat sich meinen Bemühungen um Erleuchtung entzogen«, sagte er. »Ich komme mir wie jemand vor, den die Erde fortgeschubst hat, und ihr, Lestat und Gabrielle, seid wie die Bilder, die mein alter Meister in Blau und Karminrot und Gold gemalt hat.« Er stand mit verschränkten Armen in der Tür, sah uns an und fragte stumm: Was lohnt sich zu wissen? Was lohnt sich zu geben? Wir sind die von Gott Verlassenen. Und mir steht keine Straße des Teufels offen, und ich höre nicht die Glocken der Hölle läuten.
4
Eine Stunde verging. Vielleicht mehr. Armand saß am Kamin. Sein Gesicht wies keine Spuren des lang vergessenen Kampfes mehr auf. In seinem Schweigen schien er so zerbrechlich wie ein leeres Schneckenhaus zu sein.
Gabrielle saß ihm gegenüber, und auch sie starrte schweigend in die Flammen, müden und mitleidvollen Gesichts. Es schmerzte mich, nicht lesen zu können, was sie dachte.
Meine Gedanken kreisten um Marius. Immerzu Marius… der Vampir, der in der wirklichen Welt die wirkliche Welt gemalt hatte. Triptychen, Portraits und Fresken.
Und die wirkliche Welt hatte ihm nie zugesetzt, hatte ihn nie ausgestoßen. Es war diese Meute vermummter Dämonen, die seine Gemälde verbrannte, es waren jene, die Gaben der Finsternis mit ihm teilten - hatte er das jemals die Gaben der Finsternis genannt? -, es waren sie, nicht Sterbliche, die sagten, er könne nicht unter Sterblichen leben und schöpferisch tätig sein.
Ich sah Renauds kleine Bühne und hörte mich singen, und aus dem Gesang wurde Gebrüll. Nicolas sagte: »Brillant. Das Böse in seiner ganzen Herrlichkeit.« Ich sagte: »Läppisch. Ganz hübsch und raffiniert, sonst nichts.« Und es war, als würde ich Nicolas eine Ohrfeige geben. In meiner Einbildung sagte er etwas, das er damals nicht gesagt hatte: »Überlasse mir das, woran ich glauben kann. Aber dazu bist du nicht bereit.«
Die Triptychen des Marius hingen in Kirchen und Klosterkapellen, vielleicht noch an den Wänden bedeutender Häuser in Venedig und Padua. Mit Sicherheit hatten die Vampire nicht die heiligen Stätten betreten, um sie herabzureißen. Die Gemälde gab es also noch irgendwo, mit kunstvoll versteckten Signaturen vielleicht, Werke eines Vampirs, der sich mit sterblichen Lehrlingen umgab, sich einen sterblichen Liebhaber hielt, von dem er gelegentlich schlürfte, um ansonsten allein auf die Pirsch zu gehen.
Ich mußte an die Nacht in der Dorfschänke denken, als ich die Sinnlosigkeit des Lebens begriff, und die unergründliche Hoffnungslosigkeit von Armands Geschichte kam mir wie ein Ozean vor, in dem ich zu ertrinken drohte. Das war schlimmer als Nickis zerzauster Geisteszustand. Diese Dunkelheit und Leere hier war das Werk geschlagener drei Jahrhunderte.
Und ich fürchtete, dieses strahlende, kastanienbraune Kind am Kamin könne seinen Mund öffnen, und Schwärze, nichts als Schwärze käme aus ihm heraus und würde wie Pech den Erdball unter sich ersticken.
Das heißt, wenn da nicht sein Heros gewesen wäre, dieser venezianische Meister, der sich zu der ketzerischen Sünde verstiegen hatte, seine Gemälde mit Sinn zu befrachten, und die unseren, die Erwählten Satans, hatten ihn in eine lebende Fackel verwandelt.
Hatte Gabrielle, wie ich, diese Gemälde in der Erzählung gesehen? Hatten sie sich ihr eingebrannt so wie mir?
Marius hatte Eingang in meine Seele gefunden, die bereit war, ihn dort für
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