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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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empor. Blind und schwerelos schwebte ich in der Erde, und plötzlich konnte ich nicht mehr atmen, ich konnte nicht schreien, doch wenn ich hätte schreien können, wäre zweifellos alles Glas im Umkreis mehrerer Meilen zu Bruch gegangen. Kristallbecher wären zersplittert, Fenster wären explodiert. Das Geräusch wurde lauter, kam näher. Ich versuchte, mich umzudrehen, nach Luft zu schnappen, aber es ging nicht.
    Und dann hatte ich den Eindruck, etwas zu sehen, eine Gestalt, die sich näherte.
    Ein rotes Glimmen in der Dunkelheit.
    Da kam eine Kreatur, derart überwältigend, daß es sogar die Bäume und die Blumen und auch die Luft spürten. Das blöde Erdengetier witterte es. Das Geziefer machte sich davon, die Katzen suchten das Weite.
    Vielleicht ist das der Tod, dachte ich.
    Vielleicht ist der Tod ja durch ein erhabenes Wunder etwas Lebendiges, und er nimmt uns in seine Arme, und ist kein Vampir, sondern die Verkörperung himmlischer Seligkeit.
    Und wir erheben uns mit ihm zu den Sternen. Wir lassen die Engel und Heiligen und auch das Licht hinter uns und tauchen in die göttliche Dunkelheit, ins Nichts, während wir unsere Existenz abstreifen. In der Vergessenheit wird uns alles vergeben.
    Die Vernichtung eines Nicki schwindet zu einer winzigen Nadelspitze im verdämmernden Licht. Der Tod meiner Brüder löst sich im großen Frieden des Unvermeidlichen auf.
    Ich drückte gegen die Erde. Ich stieß zu, aber meine Hände und Beine waren zu schwach. Ich schmeckte den sandigen Schlamm in meinem Mund. Ich wußte, daß ich mich erheben mußte, und das Geräusch befahl es mir.
    Und dann wurde mir klar, daß es mich suchte, dieses Geräusch, daß es mich aufzuspüren trachtete. Wie ein tastender Lichtstrahl. Ich konnte hier nicht liegenbleiben. Ich mußte antworten.
    Ich sonderte die heftigsten Willkommensströme aus. Ich teilte ihm meine Position mit und hörte meinen elenden Atem, während ich mich bemühte, meine Lippen in Bewegung zu setzen. Und das Geräusch wurde so laut, daß es mich bis ins Innerste durchdrang. Die Erde geriet in Wallung.
    Was immer es auch war, es hatte das ausgebrannte, verfallene Haus erreicht. Die Tür wurde herausgerissen, als wären die Scharniere nicht in Eisen, sondern in Mörtelputz verankert gewesen. All das sah ich hinter meinen geschlossenen Augen.
    Ich sah, wie es sich durch den Olivenhain bewegte. Es war im Garten angelangt. Wie rasend wühlte ich mich wieder der Luft entgegen. Aber das leise Geräusch, das ich nun hörte, war das Graben im Sand.
    Mir war, als würde mir Samt übers Gesicht streichen. Und über mir sah ich den dunklen Himmel und den Zug der Wolken, wie ein Schleier über den Sternen, und noch nie hatte das nächtliche Himmelsgewölbe so segensreich ausgesehen. Meine Lungen füllten sich mit Luft. Ich stieß einen Seufzer unendlichen Wohlbehagens aus. Aber meine Empfindungen gingen weit über bloßes Wohlbehagen hinaus. Zu atmen, Licht zu sehen - das waren Wunder. Und das ohrenbetäubende Paukengedröhn war die vollkommene Begleitmusik.
    Und er, der mich gesucht hatte, er, der die Geräusche ausgesandt hatte, stand über mir.
    Das Geräusch schwand dahin, löste sich auf, bis es nur noch der Nachklang einer Geigensaite war. Und ich stand auf, als würde ich emporgehoben werden, obgleich dieses Geschöpf keinen Finger krümmte.
    Dann umarmte es mich, und ich blickte in ein Gesicht, das anderen Sphären angehörte. Hätte auch nur einer der Unseren mit einem solchen Gesicht gesegnet sein können? Was wußten wir schon über Geduld, scheinbare Güte, Leidenschaft?
    Nein, er gehörte nicht zu uns. Undenkbar. Und doch. Übernatürliches Fleisch und Blut, wie meines. Schillernde, lichtsaugende Augen, schmale Brauen, wie goldene Federstriche.
    Und dieses Geschöpf, dieser machtvolle Vampir, hielt mich fest und blickte mir in die Augen, und ich glaube, ich habe irgendwelchen Blödsinn geredet, daß ich jetzt um das Geheimnis der Ewigkeit wisse.
    »Dann verrat’s mir mal«, flüsterte er, und er lächelte. Ein reines Bild menschlicher Liebe.
    »O Gott, hilf mir. Verdamme mich in den tiefsten Schlund der Hölle.« Das war meine Stimme, die da sprach. Ich kann diese Schönheit nicht ertragen. Ich betrachtete meine knochendürre Arme, meine vogelkralligen Hände. So ein Gespenst wie ich kann einfach nicht leben. Ich sah meine Beine an. Klapprige Stöckchen. Die Kleider fielen mir vom Leib. Ich konnte mich weder aufrecht halten noch

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