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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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konnte. Daß es ein nie versiegendes Wissen gab…
    Und nachdem ich noch etwas mehr Wein getrunken, darüber nachgedacht und geschrieben hatte, wurde mir klar, daß es sich weniger um eine Überzeugung als um ein Vorurteil handelte. Ich hatte lediglich das Gefühl, daß es ein überdauerndes Bewußtsein gab.
    Und die Weltgeschichte, die ich schrieb, war eine Nachahmung dieses Gefühls. Ich versuchte in mein Werk alles, was ich je gesehen hatte, eingehen zu lassen, meine Studien über Land und Leute mit dem zu verbinden, was ich bei den Griechen gelesen hatte - bei Xenophon und Herodot und Poseidonios -, um ein Bewußtsein der Welt zu meiner Zeit festzuhalten. Es war ein schwaches, beschränktes Werk, verglichen mit dem wahren Bewußtsein. Dennoch fühlte ich mich wohl, als ich weiterschrieb.
    Aber um Mitternacht wurde ich ein wenig müde, und als ich nach einer besonders langen Phase ununterbrochener Konzentration zufällig aufblickte, merkte ich, daß sich in der Taverne etwas geändert hatte.
    Es war seltsam ruhig, ja, die Schänke war fast leer. Und mir gegenüber, vom Licht einer spotzenden Kerze spärlich erleuchtet, saß ein großer, blonder Mann, der mich seelenruhig beobachtete. Mehr als sein Aussehen verblüffte mich der Umstand, daß er schon eine ganze Weile dagewesen war, ohne daß ich ihn bemerkt hatte.
    Er war ein Riese von Gallier, gar größer als ich, und er hatte ein langes, schmales Gesicht mit einer Habichtsnase und gewaltigen Kinnladen und Augen, die unter buschigen Augenbrauen mit kindlicher Klugheit hervorfunkelten. Ich meine damit, daß er äußerst intelligent, doch gleichzeitig jung und unschuldig aussah. Aber er war nicht jung.
    Er bot einen verwirrenden Anblick, der noch verstärkt wurde durch sein volles, gelbes Haar, das nicht nach römischer Sitte kurz-geschnitten war, sondern über seine Schultern wallte. Und anstelle der gebräuchlichen Tunika trug er ein gegürtetes Lederwams, die typische Barbarenkleidung der Zeit vor Caesar.
    Er sah aus, als käme er geradewegs aus den Wäldern, und ich empfand eine unbestimmte Sympathie für ihn. Ich schrieb eilends eine detailfreudige Schilderung seiner Aufmachung nieder, überzeugt, daß er des Lateinischen unkundig war.
    Aber sein schweigendes Dasitzen entnervte mich ein wenig. Seine Augen waren unnatürlich groß, und seine Lippen bebten leicht, als würde ihn mein bloßer Anblick erregen.
    Ich sah kurz auf und stellte fest, daß meine Sklaven nicht mehr in der Taverne waren. Nun ja, wahrscheinlich sind sie nebenan und spielen Karten, dachte ich, oder vergnügen sich oben mit Frauen. Sie werden gleich wieder hier sein.
    Ich warf meinem eigenartigen, stummen Freund ein gezwungenes Lächeln zu und schrieb weiter. Aber dann fing er zu reden an.
    ›Du bist ein gebildeter Mann, nicht wahr?‹ fragte er. Er sprach das Gebrauchslatein des Imperiums, aber mit starkem Akzent, jedes Wort mit fast musikalischer Sorgfalt aussprechend.
    Ich stimmte zu, ja, ich habe glücklicherweise eine gute Erziehung genossen, und ich fing wieder zu schreiben an, in der Hoffnung, daß dies ein deutlicher Wink sei. Er war zwar hübsch anzusehen, aber unterhalten wollte ich mich mit ihm eigentlich nicht.
    ›Und du schreibst auf griechisch und latein, nicht wahr?‹ fragte er mit einem Blick auf mein Manuskript.
    Ich erläuterte höflich, daß es sich bei den griechischen Zeilen auf dem Pergament um ein Zitat handele. Ansonsten sei mein Text auf lateinisch. Und ich schrieb weiter.
    ›Aber du bist doch Kelte, oder?‹ fragte er. Das war das alte, griechische Wort für Gallier.
    ›Nicht wirklich. Ich bin Römer‹, antwortete ich.
    ›Du siehst aber wie einer von uns aus, wie ein Kelte‹, sagte er.
    ›Du bist so groß wie wir, und dein Gang ist wie der unsere.‹
    Diese Feststellung war einigermaßen befremdlich. Seit Stunden hatte ich ruhig dagesessen, hatte höchstens mal an meinem Wein genippt. Ich hatte keinen einzigen Schritt getan. Aber ich erklärte, daß meine Mutter Keltin gewesen sei. Mein Vater sei römischer Senator.
    ›Und was schreibst du da auf griechisch und lateinisch?‹ fragte er. ›Was nimmt deine Leidenschaft so in Anspruch?‹
    Ich antwortete nicht gleich. Er machte mich allmählich neugierig. Aber mit meinen vierzig Jahren wußte ich gut genug, daß die meisten Tavernenbekanntschaften die ersten Minuten ganz interessant sind, um dann sterbenslangweilig zu werden.
    ›Deine Sklaven sagen, daß du an einem bedeutenden Geschichtswerk

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