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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ich hatte Alexandria, Pergamon und Athen besucht, wo ich überall meine Beobachtungen niederschrieb, und nun bereiste ich die Städte Galliens.
    In dieser Nacht hätte ich nicht einmal in meiner Bibliothek in Rom zufriedener sein können. Ja, die Taverne gefiel sogar noch besser. Überall, wo ich hinkam, suchte ich mir solche Lokale, um zu schreiben, um mich mit Kerze, Tinte und Pergament an einem Wandtisch niederzulassen, und am besten konnte ich während der frühen Abendstunden arbeiten, wenn es am lautesten war.
    Rückblickend kann man leicht erkennen, daß ich mein ganzes Leben inmitten hektischen Trubels verbracht hatte. Ich hatte mich an den Gedanken gewöhnt, daß mich nichts in Mitleidenschaft ziehen könnte.
    Ich war als unehelicher Sohn in einem wohlhabenden römischen Haushalt aufgewachsen - geliebt, verhätschelt und jede Freiheit genießend. Meine ehelich geborenen Brüder mußten sich um Heirat, Krieg und Politik kümmern. Mit zwanzig hatte ich den Posten eines Gelehrten und Chronisten inne, war also einer, der bei weinseligen Gelagen seine Stimme zu erheben hatte, um politische und militärische Zwistigkeiten beizulegen.
    Als ich auf Reisen war, hatte ich jede Menge Geld und obendrein Empfehlungsschreiben, die mir überall Tür und Tor öffneten. Zu sagen, das Leben habe es gut mit mir gemeint, wäre stark untertrieben. Ich war durch und durch glücklich. Aber entscheidend ist - das Leben hatte mich nie gelangweilt oder mir ein Bein gestellt.
    Ich hatte das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Und das war für mich später ebenso entscheidend wie deine Stärke und deine Wut für dich, so entscheidend wie Verzweiflung und Grausamkeit für andere sein können.
    Wenn ich in meinem recht ereignisreichen Leben irgend etwas vermißt habe - und ich habe nicht allzu viele Gedanken daran verschwendet -, dann war es die Liebe meiner keltischen Mutter. Sie war bei meiner Geburt gestorben, und ich wußte nur, daß sie eine Sklavin gewesen war, Tochter eines gallischen Kriegers, der gegen Julius Caesar zu Felde gezogen war. Von ihr hatte ich meine blonden Haare und blauen Augen geerbt. Und offenbar entstammte sie einer Familie von Riesen. Schon in frühen Jahren überragte ich meinen Vater und meine Brüder.
    Aber meine gallischen Vorfahren interessierten mich kaum. Ich war als gebildeter Römer nach Gallien gekommen, ohne mir des Barbarenblutes in meinen Adern bewußt zu sein. Ich hing vielmehr den Überzeugungen meiner Epoche an - daß Kaiser Augustus ein bedeutender Staatsmann war und daß in diesem gesegneten Zeitalter der Pax Romana der alte Aberglaube im ganzen Reich durch Gesetze und Vernunft ersetzt wurde. Keine Gegend war für römische Straßen zu schlecht und für die Soldaten, Gelehrten und Händler, die ihnen folgten.
    In dieser Nacht schrieb ich wie ein Verrückter, kritzelte Beschreibungen der Leute nieder, die in der Taverne ein und aus gingen, Kinder aller Herren Länder in buntem Sprachgewirr.
    Und aus keinem vernünftigen Grund bemächtigte sich meiner ein seltsames Lebensgefühl, eine seltsame Unruhe, die sich fast zu einer freundlichen Zwangsvorstellung auswuchs. Das blieb mir nur deshalb im Gedächtnis haften, weil es mit den späteren Ereignissen in Beziehung zu stehen schien. Aber das stimmte nicht. Dieses Gefühl war mir schon früher untergekommen. Daß es sich wieder in jenen letzten freien Stunden als römischer Bürger einstellte, war reiner Zufall.
    Ich hatte einfach das Gefühl, daß es jemanden gab, der alles wußte, der alles gesehen hatte. Damit meinte ich nicht die Existenz eines höheren Wesens, sondern vielmehr, daß auf Erden eine überdauernde Intelligenz, ein überdauerndes Bewußtsein war. Ein ganz diesseitiger Gedanke, der mich gleichzeitig erregte und beschwichtigte. Irgendwo gab es ein Bewußtsein aller Dinge, die ich auf meinen Reisen gesehen hatte, ein Bewußtsein, wie es in Massilia vor sechs Jahrhunderten war, als die ersten griechischen Händler kamen, ein Bewußtsein von der Beschaffenheit Ägyptens, als Cheops die Pyramiden errichtete. Jemand wußte, wie das Licht an jenem Nachmittag war, da die Griechen Troja eroberten, und irgend etwas oder irgend jemand wußte, was die Bauern in ihren Hütten vor Athen einander sagten, kurz bevor die Spartaner alles dem Erdboden gleichmachten.
    Wer oder was das sein sollte - darüber hatte ich nur verschwommene Vorstellungen. Aber mich tröstete der Gedanke, daß nichts Geistiges - und Wissen ist etwas Geistiges - verlorengehen

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