Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
und die Sonne überzog die Geige mit grellem Glanz, und ich beobachtete, wie Nicolas in seiner Musik aufging, während die Töne Tal und Garten verzauberten, und dann nahm mich Nicolas in den Arm, und wir saßen schweigend nebeneinander, und dann sagte er ganz sanft: »Glaub mir, Lestat, das geht vorüber.«
»Spiel weiter«, sagte ich. »Die Musik ist unschuldig.« Nicolas nickte lächelnd.
Irre soll man hätscheln.
Ich wußte, daß sich mein Zustand dadurch nicht bessern würde, aber es erfüllte mich mit unendlicher Dankbarkeit, daß es inmitten dieses Grauens etwas so Schönes wie Musik gab.
Man konnte die Welt weder verstehen noch ändern. Aber man konnte solche Musik machen. Und die gleiche Dankbarkeit empfand ich, wenn ich die Dorfkinder tanzen sah, wenn ich sah, wie sie ihre Arme und Beine bewegten und ihre Körper zum Takt ihrer Lieder drehten. Ich sah ihnen zu und mußte weinen.
Dann ging ich in die Kirche und betrachtete die alten Statuen und empfand die gleiche Dankbarkeit beim Anblick ihrer Gesichter und der kunstvoll geschnitzten Finger und Nasen und Ohren und der Falten in ihren Gewändern, und wieder mußte ich weinen.
Wenigstens gab es all diese schönen Dinge, sagte ich mir.
Aber in der Natur konnte ich nichts Schönes mehr entdecken. Schon der Anblick eines Baumes im Feld konnte mir Schüttelkrämpfe verursachen. Füllt die Gärten mit Musik!
Und lassen Sie mich ein kleines Geheimnis verraten. Wirklich losgeworden bin ich diesen Zustand nie mehr nie mehr.
6
Wie war es nur dazu gekommen? Lag es an den nächtlichen Trinkgelagen und Gesprächen, oder hatte es etwas mit meiner Mutter und ihrer Ankündigung des nahenden Todes zu tun? Hatten die Wölfe etwas damit zu tun? Oder hatte der Hexenplatz mich mit einem Fluch belegt?
Ich weiß es nicht. Es hatte mich wie eine Krankheit befallen. Einen Augenblick lang spielte sich das alles nur in meiner Vorstellung ab, und im nächsten Moment schon war es wirklich ..
Natürlich ließ es mit der Zeit nach. Aber der Himmel leuchtete mir nie wieder so blau. Die Welt sah von da an anders aus, und selbst in Augenblicken größten Glücks lauerte ein dunkler Schatten, der mich an unsere Vergänglichkeit und Hoffnungslosigkeit gemahnte.
Vielleicht handelte es sich um eine Vorahnung. Ich glaube aber nicht. Es war etwas Tiefgreifenderes, und außerdem halte ich, ehrlich gesagt, nichts von Vorahnungen.
Aber um den Faden der Erzählung wiederaufzunehmen, während dieser ganzen Elendszeit ging ich meiner Mutter aus dem Weg. Freilich hatte alle Welt ihr bereits mitgeteilt, daß ich nicht mehr richtig im Kopf sei. Und schließlich, am ersten Sonntag der Fastenzeit, suchte sie mich auf.
Ich war allein in meinem Zimmer, die anderen waren bei Einbruch der Dämmerung ins Dorf gegangen, um sich das traditionelle Freudenfeuer anzusehen.
Ich hatte dieses Fest schon immer gehaßt. Es hatte etwas Grauenerregendes - die lodernden Flammen, das Tanzen und Singen, die Bauern, die mit Fackeln und zu mißtönenden Liedern durch die Gärten zogen.
Wir hatten einmal für kurze Zeit einen Pfarrer gehabt, der das heidnisch gescholten hatte. Aber den sind sie schnell wieder losgeworden. Die Bauern in unseren Bergen hingen an ihren alten Bräuchen. Dieses Fest sollte eine gute Ernte sicherstellen und reichen Obstertrag und so. Und wenn ich ihnen zusah, konnte ich immer deutlich fühlen, daß dies genau die Sorte Männer und Frauen war, die Hexen verbrannte.
In meinem gegenwärtigen Geisteszustand konnte das alles nur Entsetzen hervorrufen. Ich saß an meinem eigenen kleinen Feuer und versuchte dem Drang zu widerstehen, ans Fenster zu gehen und das große Feuer in Augenschein zu nehmen, das mich im gleichen Maße anzog, wie es mir Angst einflößte.
In diesem Augenblick kam meine Mutter herein, schloß die Tür hinter sich und sagte, daß sie mit mir sprechen müsse. Sie war die Zärtlichkeit in Person. »Bist du so verwirrt, weil ich bald sterbe?« fragte sie. »Sag’s mir, wenn das der Grund ist. Und lege deine Hände in meine.«
Sie küßte mich sogar. Sie sah gebrechlich aus in ihrem zerschlissenen Morgenrock. Das Haar trug sie offen, und die grauen Strähnen waren mir ein unerträglicher Anblick. Sie sah hungrig aus.
Aber ich sagte ihr die Wahrheit. Daß ich es nicht wisse. Und dann erzählte ich ihr einiges von dem, was sich unten im Wirtshaus zugetragen hatte. Ich versuchte, das Grauen und die eigentümliche Logik des Ganzen etwas herabzuspielen. Ich
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