Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
immer noch besser als hierzubleiben. Selbst wenn wir uns als Bettler durchschlagen müßten! Schlimmer könne das auch nicht sein.
Natürlich hatten wir beide darauf hingearbeitet. »Herrliche Zukunftsaussichten, Nicki«, sagte ich. »Straßenbettler in Paris. Lieber schmachte ich in der Hölle, ehe ich den verarmten Vetter vom Lande spiele, der bei den Reichen um ein Almosen bettelt.«
»Glaubst du, daß mir das Spaß machen würde?« fragte Nicolas. »Aber wir müssen weg von hier, Lestat. Zahl es ihnen heim. Allen.«
Wollte ich so weitermachen? Unsere Väter würden uns mit einem Fluch belegen. Doch hier war unser Leben sinnlos .
Natürlich wußten wir, daß diese gemeinsame Flucht tausendmal schwerer wiegen würde als alles, was ich bislang ausgefressen hatte. Wir waren keine kleinen Jungen mehr, wir waren Männer. Unsere Väter würden uns bestimmt mit einem Fluch belegen, und das war etwas, das keiner von uns auf die leichte Schulter nehmen konnte. Außerdem waren wir alt genug, um zu wissen, was Armut bedeutete.
»Was soll ich in Paris machen, wenn ich Hunger habe?« fragte ich. »Ratten fürs Abendessen schießen?«
»Wenn es nicht anders geht, werde ich auf dem Boulevard du Temple Geige spielen, und du kannst zum Theater gehen!« Jetzt setzte er mir das Messer auf die Brust. Seine unausgesprochene Frage lautete: »Bist du eigentlich nur ein Maulheld, Lestat?< »So wie du aussiehst, stehst du in Null Komma nichts auf einer der Bühnen am Boulevard du Temple.«
Ich war von dieser neuen Richtung »unseres Gesprächs« begeistert! Ich war begeistert von seiner Überzeugung, daß wir es schaffen könnten. Sein ganzer Zynismus war wie weggeblasen, obwohl er das Wort »heimzahlen« alle paar Sekunden im Munde führte. Alles schien auf einmal möglich. Und der Gedanke an die Sinnlosigkeit unseres Lebens hier fachte uns weiter an.
Ich kam auf mein altes Thema zurück, daß Musik und Schauspielkunst gut und geheiligt seien, da sie das Chaos eindämmen würden. Chaos sei die Sinnlosigkeit unseres Alltagslebens, und wenn wir jetzt sterben müßten, sei unser Leben nichts anderes als Sinnlosigkeit gewesen. Sogar der bevorstehende Tod meiner Mutter sei sinnlos, und ich vertraute Nicolas ihre Worte an. »Der Gedanke daran ist blankes Entsetzen. Ich habe Angst.«
Falls sich ein Goldener Augenblick herausgeschält gehabt hatte, dann war er jetzt gründlich entschwunden. Dafür geschah etwas anderes.
Man könnte von einem finsteren Augenblick sprechen, der mit einemmal eingetreten war, auch dieser erregend und spannungsgeladen. Wir sprachen schnell, verfluchten diese Sinnlosigkeit, und als sich Nicolas endlich hinsetzte und seinen Kopf in den Händen verbarg, leerte ich beherzt ein Glas Wein und ging gestikulierend auf und ab, so wie er zuvor. Und im selben Moment, als ich es aussprach, wurde mir schlagartig klar, daß uns selbst im Sterben keine Antwort auf die Frage zuteil würde, warum wir überhaupt gelebt hatten. Selbst der ausgekochteste Atheist glaubt vermutlich, daß der Tod mit einer Antwort aufwartet. Gott wird ihn erwarten oder aber das Nichts.
»Darauf läuft es hinaus«, sagte ich, »wir werden in dieser Stunde auch nicht das geringste erkennen. Wir hören einfach auf. Wir gleiten in die Nichtexistenz, ohne jemals etwas gewußt zu haben.« Ich sah das Universum, eine Vision der Sonne, der Sterne und Planeten, der ewigen schwarzen Nacht. Und ich mußte lachen. »Geht das in deinen Kopf hinein?! Wir werden niemals wissen, warum, zum Teufel, wir das alles durchgemacht haben, nicht einmal, wenn es vorbei ist!« brüllte ich Nicolas zu, der zurückgelehnt auf dem Bett saß, zustimmend nickte und Wein trank. »Wir werden sterben und nichts wissen. Nichts - und all diese Sinnlosigkeit wird weiter- und weiterleben. Und wir werden nicht einmal dabeisein. Wir werden nicht einmal mehr versuchen können, uns einen Reim darauf zu machen.
Wir werden einfach verschwunden sein, tot, tot, tot, ohne etwas begriffen zu haben!«
Ich hatte zu lachen aufgehört. Ich blieb stehen und verstand den Sinn meiner Worte vollkommen! Es gab kein Jüngstes Gericht, keine gültige Erklärung, keinen Gnadenstrahl, der all die schrecklichen Fehler und Untaten auslöschte. Nie würden die auf dem Scheiterhaufen verbrannten Hexen gerächt werden. Nie würde uns jemand etwas sagen können!
Nein, das habe ich in diesem Augenblick nicht begriffen. Ich habe es gesehen. Und ich stieß einen einzigen Laut aus: »Oh!« Ich sagte noch einmal
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