Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Nacht einen Höllenlärm veranstalteten und daß wir schon jetzt keinen Knopf Geld mehr besaßen, da ich darauf bestanden hatte, keine einzige Theater-, Opern- und Ballettaufführung auszulassen. Und daß das Unternehmen, bei dem ich arbeitete, eine winzige Klitsche war, nicht viel besser als eine Jahrmarktsbühne, und daß sich meine Tätigkeit darin erschöpfte, den Zuschauerraum zu fegen und Radaubrüder hinauszuwerfen.
Dennoch kam ich mir wie im Paradies vor. Und Nicolas ging es nicht anders, obwohl ihn kein anständiges Orchester in der ganzen Stadt haben wollte und er froh sein mußte, bei der Kapelle in dem Theater untergekommen zu sein, für das auch ich arbeitete. Und wenn wir wirklich knapp bei Kasse waren, spielte er als Straßengeiger auf, während ich mit dem Hut in der Hand neben ihm stand. Wir kannten keine Hemmungen.
Jede Nacht keuchten wir die Treppe empor, aber nie ohne eine Flasche Billigwein und einen Laib jenes guten Pariser Brots, das uns gegen den Fraß in der Auvergne wie Ambrosia vorkam. Und im Schein unserer Talgkerze verwandelte sich die Mansarde in die herrlichste Behausung meines Lebens.
Wie gesagt, außer in dem Dorfwirtshaus hatte ich mich selten in einem kleinen Zimmer aufgehalten. Nun, dieses Zimmer hatte Gipswände und eine Gipsdecke. Das war Paris! Es hatte einen blankgescheuerten Holzfußboden und sogar einen winzigen Kamin mit einem neuen Schornstein, der wirklich zog.
Was machte es schon aus, daß wir auf ausgebeulten Strohlagern schlafen mußten, daß wir wegen der streitenden Nachbarn keine Minute ruhig schlafen konnten? Wir waren in Paris und konnten stundenlang Arm in Arm durch die Straßen und Gassen schlendern, in Geschäfte voller Schmuck und Geschirr und Gobelins lugen und den unvorstellbaren Reichtum allerorten bewundern. Sogar die stinkenden Fleischmärkte entzückten mich. Das Getose und Geklapper der Stadt, die pausenlose Betriebsamkeit Tausender und Abertausender Handwerker und Arbeiter, die Menschenmassen, die Tag und Nacht auf den Beinen waren.
Tagsüber dachte ich so gut wie nie an die finstere Vision, die mich damals in der Dorfschänke heimgesucht hatte, es sei denn, ich sah in einem verdreckten Durchgang eine der zahlreichen Leichen, die man einfach liegengelassen hatte, oder ich war zufällig Zeuge einer öffentlichen Hinrichtung auf dem Place de Créve geworden. Und es gab immer eine öffentliche Hinrichtung, wenn ich zufällig auf dem Place de Créve war.
Ich verließ dann die Stätte jedesmal zitternd, klagend und dem Wahnsinn nahe. Aber Nicolas war unerbittlich. »Lestat, kein Wort über die Ewigkeit, das Unabwendbare, die Finsternis!«
Er drohte, mich zu verprügeln, wenn ich anfing. Und wenn sich die Abenddämmerung niedersenkte - die Tageszeit, die ich mehr denn je haßte -, dann fing ich innerlich zu beben an, ob ich eine Hinrichtung gesehen hatte oder nicht, ob der Tag ein Freudenfest oder nur Verdruß und Ärger gewesen war. Und meine einzige Rettung war dann die Aufregung in dem hellerleuchteten Theater, und ich setzte alles daran, es regelmäßig vor Sonnenuntergang zu betreten.
Nun waren solche Boulevardtheater im Paris jener Jahre nicht einmal offiziell zugelassen, geschweige denn anerkannte Häuser. Nur die Comédie Francaise und das Theatre des Italiens waren von der Regierung sanktionierte Schauspielhäuser, und nur da gab es ernstzunehmende Aufführungen, die Stücke von Racine, Corneille und dem brillanten Voltaire.
Aber die alte italienische Commedia, die ich so sehr liebte -Hanswurst, Harlekin, Skaramuz und all die anderen -, lebte auf den Jahrmärkten mit ihren Seiltänzern, Akrobaten, Jongleuren und Marionettenspielern weiter. Und die Boulevardtheater hatten sich aus den Jahrmärkten entwickelt. Zu meiner Zeit, den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts, waren sie vom Boulevard du Temple schon nicht mehr fortzudenken, und obgleich sie für die Armen spielten, die sich die großen Häuser nicht leisten konnten, fanden sich auch wohlhabende Bürger im Publikum. In den Logen drängten sich Adelige und Mitglieder der reichen Bourgeoisie, die Gefallen an den Boulevardaufführungen fanden, da diese lebendiger waren als die steifen Dramen des großen Racine und des großen Voltaire.
Wir spielten die italienische Komödie, so wie ich es gelernt hatte, ständig improvisierend, so daß jeden Abend etwas Neues und anderes und doch gleiches dargeboten wurde. Wir hatten auch Gesang auf der Bühne und trieben allerhand Blödsinn,
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