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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wollte nicht, daß es so schrecklich absolut, so ausweglos aussah.
    Sie hörte mir zu, dann sagte sie: »Du bist eine Kämpfernatur, mein Sohn. Du wirst es nie hinnehmen. Selbst wenn es das Schicksal der ganzen Menschheit ist, wirst du es nicht hinnehmen.«
    »Ich kann einfach nicht«, sagte ich düster.
    »Und darum liebe ich dich«, sagte sie. »Das sieht dir ähnlich, spätnachts beim Weintrinken in einer kleinen Stube im Wirtshaus diese Erkenntnisse zu haben. Und es sieht dir ähnlich, daß du dagegen anrennst, wie du gegen alles andere anrennst.«
    Ich fing wieder an zu weinen, obwohl ich wußte, daß sie mich nicht verurteilte. Dann zog sie ein Taschentuch hervor und entfaltete es, und eine Handvoll Goldmünzen kam zum Vorschein.
    »Du kommst schon drüber weg«, sagte sie. »Im Moment zerstört dir der Gedanke an den Tod das Leben, das ist alles. Aber das Leben ist wichtiger als der Tod. Das wirst du bald genug merken. Jetzt hör mir gut zu. Ich habe den Arzt kommen lassen und die alte Frau aus dem Dorf, die von Heilkunde mehr versteht als er. Beide sagen, daß ich nicht mehr lange zu leben habe.«
    »Hör auf, Mutter!« rief ich, wohl wissend, wie egoistisch ich mich benahm, aber unfähig, etwas dagegen auszurichten. »Und diesmal will ich keine Geschenke. Steck das Geld weg!«
    »Setz dich«, sagte sie und deutete auf die Bank neben dem Kamin. Widerstrebend gehorchte ich ihr. Sie setzte sich neben mich. »Ich weiß«, sagte sie, »daß du und Nicolas vom Abhauen redet.«
    »Ich werde bleiben, Mutter…«
    »Was, bis ich tot bin?«
    Ich antwortete nicht. Mir fehlen die Worte, meinen Gemütszustand zu beschreiben. Ich fühlte mich noch immer wie eine offene Wunde, und wir mußten über die unabänderliche Tatsache sprechen, daß diese lebendige, atmende Frau bald zu leben und atmen aufhören, daß ihre Seele in einen Abgrund fahren, daß alles, was sie im Leben durchlitten hatte, sich in nichts auflösen würde.
    Ihr kleines Gesicht war wie auf einen Schleier gemalt. Und vom Dorf in der Ferne klang dünn der Gesang der Bauern zu uns herauf. »Ich möchte, daß du nach Paris gehst, Lestat«, sagte sie. »Ich möchte, daß du das Geld hier nimmst, den Rest meines Familienerbes.
    Ich möchte dich in Paris wissen, Lestat, wenn meine Stunde schlägt.
    Ich möchte in dem Wissen sterben, daß du in Paris bist.«
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich erinnerte mich ihres gekränkten Blicks vor Jahren, nachdem man mich der italienischen Truppe entrissen hatte. Ich sah sie lange an. Beinahe verärgert suchte sich mich zu überreden.
    »Ich habe Angst vorm Sterben«, sagte sie. Ihre Stimme drohte zu versagen. »Und ich schwöre, daß ich durchdrehe, wenn ich nicht sicher sein darf, daß du in Paris und frei bist, wenn es schließlich soweit ist.«
    Ich sah sie fragend an. Ich fragte sie mit meinen Augen: »Meinst du das wirklich?«
    »Ich habe dich nicht weniger als dein Vater an dieses Schloß gefesselt«, sagte sie. »Nicht weil ich stolz auf dich war, sondern aus purem Egoismus. Und das werde ich jetzt wiedergutmachen. Du wirst gehen. Und es ist mir egal, was du in Paris machst, ob du singst, während Nicolas Geige spielt, oder ob du auf irgendeiner Bühne Purzelbäume schlägst. Aber geh und mach das, was du machst, so gut du kannst.« ? Ich nahm sie in den Arm. Erst sträubte sie sich ein wenig, aber dann spürte ich, wie sie nachgab und sich an mich schmiegte, und zwar so innig, daß ich auf einmal zu verstehen glaubte, warum sie immer so zurückhaltend gewesen war. Zum erstenmal in meinem Leben hörte ich sie weinen. Mir tat das unendlich wohl, und ich schämte mich darum. Ich hielt sie zärtlich fest, und ich küßte sie, was sie noch nie zuvor zugelassen hatte.
    Dann beruhigte sie sich. Sie bekam sich wieder in die Gewalt, entwand sich meinen Armen und stieß mich zur Seite.
    Sie sprach lange, und vieles habe ich damals nicht verstanden; was sie zum Beispiel über das wundersame Vergnügen erzählte, wenn sie mich zur Jagd ausreiten sah oder wenn ich alle bis aufs Blut ärgerte und meinem Vater und meinen Brüdern tausend unbequeme Fragen über unser ödes Leben an den Kopf warf. Sie sagte noch andere seltsame Dinge, daß ich im geheimen ein Teil von ihr sei, daß ich ihr ein Organ sei, über das Frauen sonst nicht verfügten.
    »Du bist der Mann in mir«, sagte sie. »Und ich habe dich hierbehalten aus Angst, ohne dich leben zu müssen, und wenn ich dich jetzt fortschicke, entledige ich mich vielleicht nur

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