Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
spritzte, schrie ich leise auf. Das war nicht der sengende Saft, der des Meisters Blut gewesen war, nicht jenes liebliche Elixier, jenes flüssige Licht, das ich von dem Steinfußboden gesogen hatte. Nein, das hier war tausendmal leckerer, die Geschmacksessenz des Herzens und seines warmen, rauchigen Geruchs.
Meine Schultern hoben sich, und meine Finger krallten sich tiefer in das Fleisch, und ein summendes Geräusch entwand sich meiner Kehle. Ich mußte meinen ganzen Willen zusammennehmen, um vor dem endgültigen Augenblick von ihm abzulassen. Wie gerne hätte ich doch gespürt, wie sein Herz immer langsamer schlug und dann völlig stehenblieb.
Aber ich wagte es nicht. Er sank aus meinen Armen, seine Gliedmaßen spreizten sich über den Fußboden, unter den halbgeschlossenen Lidern war nur das Weiße der Augen zu sehen.
In stummer Faszination sah ich zu, wie er starb, unfähig, mich abzuwenden. Nicht das kleinste Detail durfte mir entgehen. Ich hörte, wie sein Atem verröchelte, ich beobachtete, wie aus seinem Körper ohne Todeskampf das Leben wich. Das Blut wärmte mich. Ich fühlte es durch meine Adern pulsieren.
Mein Gesicht glühte. Ich fühlte mich stärker, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.
Ich hob den Leichnam auf, trug ihn die Wendeltreppe hinab in das stinkende Verlies und warf ihn zu seinesgleichen.
8
Es war Zeit aufzubrechen, Zeit, meine Fähigkeiten auszuprobieren.
Ich füllte meine Geldkatze und meine Hosentaschen mit Münzen, schnallte mir einen juwelenbesetzten Degen um, ging hinunter und sperrte das eiserne Turmgatter hinter mir zu.
Offensichtlich war der Turm der letzte intakte Teil einer Gebäuderuine. Ich witterte Pferdegeruch und ging um das Gebäude zu einem Behelfsstall, wo ich nicht nur eine ansehnliche alte Kutsche vorfand, sondern auch vier prächtige Rappen, die wunderbarerweise keinerlei Scheu vor mir zeigten. Ich küßte ihre glatten Flanken und langen, weichen Nüstern. Ich war so verliebt in diese Pferde, daß ich Stunden mit ihnen hätte zubringen können. Aber ich war auf anderes erpicht.
In dem Stall war auch ein Mensch, was meiner Nase nicht entgangen war. Aber er schlief tief und fest, und als ich ihn wachrüttelte, sah ich, daß er ein junger Dummbeutel war, der mir nicht gefährlich werden konnte.
»Ich bin jetzt dein Herr«, sagte ich und gab ihm eine Goldmünze.
»Sattle ein Pferd für mich, ansonsten brauche ich dich heute abend nicht mehr.« Er teilte mir mit, daß kein Sattel vorhanden sei, und sank wieder in Schlaf. Auch gut. Ich entfernte die Zügel von dem Zaumzeug, das an der Kutsche hing, legte sie selbst dem schönsten der Pferde um und ritt ungesattelt aus.
Einfach nicht zu beschreiben, dieses stürmende Pferd unter mir, dieser pfeifende Wind und dieses hohe, nächtliche Himmelszelt. Mein Körper war mit dem Tier verschmolzen. Ich flog über den Schnee, lachte laut, trällerte dann und wann ein Lied. Mein Stimmumfang reichte plötzlich vom Falsett bis zum sonoren Bariton.
Manchmal stieß ich einfach Schreie aus, vor Freude wohl. Es muß Freude gewesen sein. Aber wie konnte ein Monster Freude empfinden?
Ich wollte natürlich nach Paris reiten. Aber ich wußte, daß ich dafür noch nicht reif war. Ich wußte noch nicht genug über meine neuen Fähigkeiten. Also ritt ich in die entgegengesetzte Richtung, bis ich die Ausläufer eines kleinen Dorfes erreichte. Keine Menschenseele weit und breit, und als ich mich der kleinen Kirche näherte, schäumte eine leidenschaftliche, menschliche Wut in mein seltsam abgehobenes Glücksgefühl. Schnell stieg ich ab, öffnete die Sakristeitür und ging durch das Mittelschiff zum Altargitter vor.
Ich weiß nicht mehr, was ich in diesem Augenblick empfand. Vielleicht wollte ich, daß irgend etwas passierte. Ich war in einer mörderischen Stimmung. Aber es passierte nichts. Ich starrte in das rote Flackern des Ewigen Lichts über dem Altar. Ich blickte zu den Figuren empor, die in die lichtlose Schwärze der bunten Kirchenfenster wie eingefroren schienen. Und in meiner Verzweiflung kletterte ich über das Altargitter und legte Hand an das Tabernakel. Ich brach seine Türchen auf und nahm den edelsteinverzierten Kelch mit seinen heiligen Hostien heraus. Nein, hier war keine Macht im Spiel, nichts, das meine Monstersinne in Wallung gebracht oder mich irgendwie berührt hatte. Einfach nur Oblaten und Gold und Wachs und Licht.
Ich beugte meinen Kopf auf den Altar. Ich muß wie ein Priester ausgesehen
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