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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Wirtschaft verließ. Sobald ich den Wald erreicht hatte, rannte ich los, so schnell, daß der Himmel und die Bäume verschwommen. Ich flog beinahe dahin.
    Dann blieb ich stehen, vollführte einen Freudentanz. Ich hob Steine auf und warf sie so weit, daß ich nicht sehen konnte, wo sie landeten. Und als ich einen dicken, verharzten Baumstamm auf der Erde liegen sah, ergriff ich ihn und brach ihn über meinem Knie wie einen verdorrten Ast.
    Ich stieß Schreie aus und fing wieder lauthals zu singen an. Dann warf ich Mantel und Degen fort und begann radzuschlagen, geradeso wie die Akrobaten bei Renaud. Und anschließend legte ich einen vollendeten Salto hin. Und gleich noch einen, aber rückwärts, und dann wieder vorwärts, und dann Doppel- und Dreifachsalti, und dann einen Fünfmetersprung in die Luft. Ich landete elegant, wenn auch ein wenig außer Atem, auf meinen Füßen und wollte am liebsten ewig so weitermachen.
    Aber der Morgen graute.
    Zwar nur ein kaum merklicher Umschwung in Luft und Himmel, aber ich reagierte darauf, als würden die Glocken der Hölle ertönen. Ach, dieser Anblick des dahinschmelzenden Nachthimmels, der blaß schimmernden Zinnen! Und ein sonderbarer Gedanke schoß mir durch den Kopf: Das Licht der Höllenfeuer war möglicherweise so stark wie das Sonnenlicht, und das würde vielleicht das einzige »Sonnenlicht« sein, das ich je wieder sehen würde.
    Aber was hatte ich getan? Ich hatte das nicht gewollt, ich hatte mich gewehrt. Noch als Magnus mir sagte, daß ich sterben würde, hatte ich ihn mit Zähnen und Klauen bekämpft, und dennoch hörte ich jetzt die Glocken der Hölle.
    Nun ja, wen scherte es?
    Als ich den Friedhof erreichte, um nach Hause zu reiten, wurde ich abgelenkt. Ich hielt gerade die Zügel meines Pferdes in Händen und ließ meinen Blick über die Gräber schweifen, als mir etwas auffiel, ohne daß ich es hätte genau ausmachen können. Da war es wieder, und mit einemmal hatte ich begriffen. Ich spürte ganz deutlich, daß etwas anwesend war.
    Ich verhielt mich so ruhig, daß ich das Blut in meinen Adern pochen hörte. Diese Anwesenheit war nicht menschlicher Natur. Sie war geruchlos und strömte keine menschlichen Gedanken aus, aber kein Zweifel, sie beobachtete mich.
    Oder bildete ich mir alles nur ein?
    Ich blickte umher, lauschte. Graue Grabsteine ragten aus dem Schnee. Weit hinten standen einige Mausoleen, bombastisch und reich verziert, aber nicht weniger verfallen als die Gräber.
    Es hatte den Anschein, daß sich die Anwesenheit irgendwo bei den Mausoleen herumtrieb, und dann spürte ich sie plötzlich deutlich, als sie sich den Bäumen der Kirchhofumfriedung näherte.
    »Wer bist du?« rief ich. Meine Stimme war schneidend wie ein Messer. Und dann noch lauter: »Antworte mir!«
    Ich fühlte, wie das die Anwesenheit in tiefsten Aufruhr versetzte, und ich war sicher, daß sie sich auf schnellstem Weg aus dem Staub machte. Wie ein Pfeil schoß ich ihr hinterher. Doch ich sah noch immer nichts. Und mir wurde klar, daß ich stärker war als sie und daß sie Angst hatte vor mir.
    Angst vor mir!
    Und ich hatte keine Ahnung, ob es sich um ein physisches Wesen handelte, einen Vampir wie mich, oder um etwas Körperloses.
    »Eins steht fest«, sagte ich, »du bist ein Feigling!«
    Ein Zittern in der Luft. Einen Moment lang schienen die Bäume zu atmen.
    Geahnt hatte ich es ja schon, aber jetzt wußte ich es - ich hatte vor nichts Angst. Weder vor der Kirche noch vor dem Dunkel, noch vor den Würmern auf den Leichen in meinem Verlies. Nicht einmal vor dieser unheimlichen Macht, die sich da hinter die Bäume verkrümelte und dann wieder greifbar nahe zu sein schien. Nicht einmal vor Menschen.
    Ich war schon ein ganz ausgepichter Unhold! Wenn ich auf den Stufen zur Hölle herumgelungert und der Teufel gesagt hätte, »Lestat, komm rein und such dir aus, als was für ein Unhold du durch die Welt ziehen möchtest«, wie hätte ich etwas Besseres wählen können, als was ich bereits war? Und mir war, als sei Leid etwas gewesen, das ich einmal in einem anderen Leben gekannt hatte und nie wieder erfahren würde.
    Wenn ich heute an diese Nacht, vor allem aber an dieses Friedhofserlebnis denke, muß ich einfach lachen.

9
    In der nächsten Nacht zog ich durch Paris mit so viel Gold in den Taschen, wie ich nur tragen konnte. Die Sonne war gerade hinter den Horizont gesunken, und der Himmel verströmte sein letztes blaues Licht, als ich das Pferd bestieg und in die Stadt ritt. Ich hatte

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