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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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blond wie ich. Die wenigen, die noch so etwas wie ein Gesicht hatten, waren offensichtlich Jünglinge, groß und schlank. Und der neueste Bewohner hier - die feuchte und übelriechende Leiche lag auf dem Boden und hatte die Arme durch das Gitter gestreckt - sah mir so ähnlich, daß er mein Bruder hätte sein können.
    Wie benommen wankte ich vor, bis meine Stiefelspitze seinen Kopf berührte. Ich senkte die Fackel, und mein Mund öffnete sich, als wollte ihm ein Schrei entweichen. Die feuchten, von Fliegen umschwärmten Augen waren blau!
    Ich taumelte zurück, von wahnwitziger Angst gepackt, daß sich das Ding bewegen und meine Fußgelenke umklammern könnte. Ich schwankte ein paar Schritte nach hinten und stolperte über einen Teller mit verdorbenem Essen und einen Krug. Der Krug kippte um und zerbrach, und über den Boden ergoß sich geronnene Milch wie Erbrochenes.
    Schmerzen durchstachen mir die Brust. Wie flüssiges Feuer schoß mir Blut in den Mund und rann über meine Lippen und klatschte auf den Boden. Ich mußte die offene Tür erreichen, wenn ich mich wieder sammeln wollte.
    Doch so übel mir auch war, konnte ich nicht umhin, das Blut anzustarren. Ich war hingerissen von diesem Karmesinrot im Licht der Fackel. Ich sah zu, wie sich das Blut dunkel verfärbte, während es in dem Mörtel zwischen den Steinen versickerte. Das Blut war lebendig, und sein süßer Duft schnitt wie eine Klinge in den Verwesungsgestank. Ein Durstanfall vertrieb das Gefühl der Übelkeit. Wie von selbst bückte ich mich tiefer und tiefer dem Fleck am Boden entgegen.
    Und dabei wirbelten mir die ganze Zeit Gedanken durch den Kopf: Der junge Mann hier hatte in dieser Zelle noch gelebt; das Essen und die Milch waren ihm gebracht worden, um ihn zu laben oder zu foltern. Er war in dieser Zelle gestorben, gefangen zwischen all den Leichen, wohl wissend, daß er bald zu ihnen zählen würde.
    Ich war auf den Knien, vornübergebeugt, die Fackel in meiner Linken, und mein Kopf neigte sich dem Blut entgegen, und ich sah, wie meine Zunge salamandergleich aus meinem Mund schnellte. Sie schabte über das Blut auf dem Boden. Welch ein Wonneschauer!
    War das wirklich ich? Leckte ich dieses Blut keine fünf Zentimeter von der Leiche hier auf? Wurde mir bei jedem Schlückchen fröhlicher ums Herz, keine fünf Zentimeter von diesem toten Jungen entfernt, den Magnus so wie mich hierhergebracht hatte? Diesem Jungen, den Magnus zum Tode verurteilt hatte, anstatt ihm Unsterblichkeit zu schenken.
    Flackernde Schatten huschten über die ekelerregende Zelle, während ich das Blut aufleckte. Das Haar des toten Mannes berührte meine Stirn. Sein Auge starrte mich an wie ein geborstener Kristall.
    Warum war ich nicht in diese Zelle gebracht worden? Welche Prüfung hatte ich bestanden, die es mir nun ersparte, schreiend an den Gitterstäben zu rütteln, die ganzen Schrecknisse zu durchleiden, die ich in der Dorfschänke vorausgesehen hatte?
    Das Blut pulste wie rasend durch meine Arme und Beine. Und ich hörte einen Klang - so schön und bezaubernd wie das Rot des Blutes, das Blau der Augen dieses Knaben, das Flirren der Mückenflügel, der feuchte Schimmer der Würmer, das Leuchten der Fackel -, und dieser Klang war mein eigenes brüllendes Geschrei.
    Ich ließ die Fackel fallen und kroch rückwärts auf meinen Knien, wobei ich gegen den Blechteller und den zerbrochenen Krug stieß. Ich stand auf und rannte die Treppe hoch. Und als ich die Tür zu den Verliesen zuschlug, brachen sich meine Schreie in den höchsten Gewölben des Turms, schallten zurück, überrollten mich wie Lawinen. Ich konnte nicht aufhören, konnte meinen Mund nicht schließen.
    Aber durch die vergitterte Vorhalle und durch ein Dutzend kleiner Fenster sah ich den Morgen heraufdämmern. Ich verstummte. Die Mauersteine fingen zu glühen an. Das Licht umfing mich wie kochender Dampf, es brannte auf meinen Lidern.
    Ich überlegte keine Sekunde, sondern rannte mechanisch los, stürzte hoch in meine Kammer.
    Als ich aus dem Schacht kroch, erglühte das Zimmer in rosafarbenem Licht. Die Juwelen quollen aus der Truhe und schienen sich zu bewegen. Wie geblendet hob ich den Deckel des Sarkophags.
    Mit einem dumpfen Knall siegelte er mich ein. Die Schmerzen auf Gesicht und Händen ließen nach, und Ruhe und Sicherheit umfingen mich, und Angst und Trauer schmolzen in eine kühle und tiefe Dunkelheit.

7
    Durst weckte mich auf. Und sofort wußte ich, wo ich war und was ich war. Keinerlei Träume von

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