Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Nicolas oder meiner Mutter zu erkundigen. Ihre Briefe waren voller Seligkeit über mein Glück, und sie versprach, im, Frühjahr nach Italien zu reisen, falls ihre Gesundheit es erlaube. Erst aber solle ich ihr Bücher aus Paris schicken und Zeitungen und Cembalonoten. Und sie wollte wissen, ob ich wirklich glücklich sei. Ob meine Träume in Erfüllung gegangen seien. Mein Reichtum beunruhige sie irgendwie. Ich sei bei Renaud doch so glücklich gewesen. Ich müsse ihr vertrauen.
Es war qualvoll, diesen Worten zuzuhören, während Roget sie mir vorlas. Ganz gegen meine Gewohnheit mußte ich lügen. Aber für sie war ich bereit dazu.
Und was Nicki anbetraf, ich hätte mir denken können, daß er sich nicht mit Geschenken und vagen Berichten zufriedengab, er wollte mich sehen und ließ nicht locker. Er versuchte Roget ein wenig einzuschüchtern.
Aber es nutzte nichts. Der Anwalt konnte ihm nur das übermitteln, was ich ihm erzählt hatte. Und ich hatte so wenig Lust, Nicki zu sehen, daß ich mich nicht einmal nach seiner neuen Adresse erkundigte. Ich beauftragte den Anwalt, darauf zu achten, daß er Unterricht bei seinem italienischen Maestro nahm und daß er alles hatte, was er sich wünschte.
Dann kam mir eines Tages zu Ohren, daß Nicki den Absprung vom Theater nicht gefunden hatte und noch immer bei Renaud Geige spielte. Ich war spuckewütend. Warum zum Teufel war er immer noch da? Weil es ihm dort so gut gefiel wie einst mir- darum. Mußte man mich da erst mit der Nase drauf stoßen? Wir waren doch alle wie eine Familie gewesen in dieser kleinen Klitsche. Bloß nicht an den Augenblick denken, wenn sich der Vorhang hob, wenn das Publikum zu klatschen und johlen begann…
Nein. Besser, ich schickte kistenweise Wein und Champagner ins Theater, besser, ich schickte Blumen für Jeannette und Luchina, die beiden Mädchen, mit denen ich am meisten gestritten und die ich am liebsten gemocht hatte, und beglückte Renaud mit noch mehr Gold und zahlte seine Schulden.
Aber als Nacht für Nacht diese Geschenke zugeliefert wurden, zeigte sich Renaud allmählich peinlich berührt. Zwei Wochen später unterbreitete mir Roget einen Vorschlag Renauds.
Ich sollte sein Theater kaufen und ihn als Intendanten halten und mit genug Kapital ausrüsten, um größere und aufwendigere Vorstellungen als je zuvor in Szene setzen zu können. Mit meinem Geld und seinem Talent könnten wir das Haus zum Stadtgespräch von Paris machen.
Ich habe nicht sofort geantwortet. Es dauerte eine Zeitlang, bis ich begriff, daß ich einfach so dieses Theater besitzen konnte, so wie die Edelsteine in der Truhe oder die Kleider, die ich trug, oder die Puppenstube, die ich meiner Nichte geschickt hatte. Und dann sagte ich nein, ging hinaus und schlug die Tür hinter mir zu. Aber ich kehrte sofort um.
»Also gut, kaufen Sie das Theater«, sagte ich, »und geben Sie ihm zehntausend Kronen zu seiner freien Disposition.« Das war ein Vermögen. Und ich wußte nicht einmal, warum ich diese Entscheidung getroffen hatte.
Vielleicht hatte es damit zu tun, daß ich einen Großteil meiner Zeit in den angesehensten Theatern von Paris verbrachte. Von den besten Plätzen aus genoß ich die Ballette und Opern, die Dramen von Moliere und Racine. Ich saß an der Rampe und bestaunte die großen Schauspieler und Schauspielerinnen. Ich war in Kleidung aus feinstem Material gewandet, meine Finger zierten kostbare Ringe, und ich trug die modischsten Perücken und Schuhe mit diamantbesetzten Schnallen und goldenen Absätzen. Und mir stand die Ewigkeit offen, um mich an der Poesie zu betrinken, die ich von der Bühne hörte, am Gesang und an den Bewegungen der Tänzer, an der rauschenden Orgel in Notre Dame, am Klang der Turmuhren, die mir die Stunden zählten, am Schnee, der sich stumm auf die leeren Gärten der Tuilerien senkte.
Und jede Nacht bewegte ich mich unachtsamer unter den Sterblichen, jede Nacht wurde ich freier im Umgang mit ihnen. Noch kein Monat war vergangen, da hatte ich schon den Mut, mich in das Getümmel eines Balls im Palais Royal zu stürzen. Ich war warm und rosenwangig von meinem letzten Mord, und niemand hegte den leisesten Verdacht. Vielmehr schienen die Damen von mir angetan zu sein, und ich liebte es, ihre heißen Finger, ihre weichen Arme und Brüste zu spüren.
Danach nahm ich ein Bad in der Menschenmenge, die die Boulevards am frühen Abend zu bevölkern pflegt. Ich eilte an Renauds Theater vorbei und quetschte mich in die anderen
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