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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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verschlungener Gedanken ging ihm durch den Kopf, während er der schnell schwatzenden Jeannette zuhörte.
    »Lestat hat geheiratet«, sagte sie, und Luchina nickte zustimmend, »seine Frau ist wohlhabend, und sie darf nicht wissen, daß er ein: einfacher Schauspieler war, das ist alles.«
    »Ich schlage vor, daß wir ihn in Frieden lassen«, sagte Luchina. »Er hat das Theater vor dem Bankrott bewahrt und überhäuft uns mit Geschenken…«
    »Ich glaube das nicht«, sagte Nicolas bitter. »Er würde sich unserer nicht schämen.« Nur mühsam unterdrückte er seine Wut, seine Trauer. »Und warum hat er uns auf diese seltsame Weise verlassen? Ich hörte, wie er nach mir rief! Das Fenster war in tausend Stücke zerborsten! Ich war halbwach und hörte seine Stimme…«
    Ein unbehagliches Schweigen folgte. Sie schenkten seiner Version, wie ich aus der Mansarde verschwunden sei, keinen Glauben, und je öfter er seine Geschichte erzählte, desto verbitterter wurde er.
    »Ihr habt Lestat nicht wirklich gekannt«, sagte er mürrisch. »Lestat würde jedem ins Gesicht spucken, der sich unserer schämte! Er schickt mir Geld. Was soll ich damit anfangen? Er hält uns zum Narren!«
    Die anderen antworteten nicht. Bloß kein Wort gegen den geheimnisvollen Wohltäter, die Dinge liefen allzugut. Und in dem allgemeinen Schweigen spürte ich Nickis Seelenpein in ihrem ganzen Ausmaß, ja, ich sah sie, als würde ich geradewegs durch seine Schädeldecke spähen. Und ich konnte es nicht ertragen.
    Ich konnte nicht ertragen, in seine Seele zu dringen, ohne daß er es wußte. Und doch spürte ich, ganz leise und ohne es wirklich zu wollen, daß in seinem Inneren eine geheimnisvolle, finstere Dimension zu entdecken war, und ich erinnerte mich seiner Worte, daß es in ihm eine dunkle Seite gebe, die er mir zu verbergen trachte.
    Ich konnte es fast sehen und wollte es nicht sehen. Ich wollte nicht fühlen, was er fühlte. Aber was konnte ich für ihn tun? Darum ging es. Was konnte ich tun, um ihn ein für allemal von dieser Qual zu erlösen?
    Ich wünschte nichts sehnlicher, als ihn zu berühren - seine Hände, seine Arme, sein Gesicht. Ich wollte sein Fleisch mit meinen neuen, unsterblichen Fingern fühlen. Und ich ertappte mich, wie ich das Wort »lebendig« flüsterte. Ja, du bist lebendig, und das heißt, du bist sterblich. Und wenn ich dich anblicke, sehe ich nichts Stoffliches. Alles ist eine Mischung aus kleinen Bewegungen und undefinierbaren Farben, als seist du völlig körperlos, als würdest du lediglich aus Wärme und Licht bestehen. Du bist das Licht selbst, und was bin ich jetzt?
    Trotz meiner Unsterblichkeit war ich im Glanz dieses Lichts nur noch ein Häufchen Asche.
    Die Stimmung drinnen im Zimmer hatte umgeschlagen. Luchina und Jeannette traten unter höflichen Worten den Rückzug an. Nicolas beachtete sie nicht einmal. Er hatte sich dem Fenster zugewandt und erhob sich, als hätte ihn eine geheimnisvolle Stimme gerufen.
    Sein Gesichtsausdruck läßt sich in Worten nicht beschreiben. Er wußte, daß ich da war!
    Sofort schoß ich über die rutschige Fassade aufs Dach. Aber ich konnte ihn da unten noch immer hören. Ich beugte mich vor und sah seine Hände auf der Fensterbank. Und durch die Stille hörte ich förmlich seine Bestürzung. Er spürte, daß ich da war! Er spürte meine Anwesenheit, so wie ich die Anwesenheit auf den Friedhöfen spürte.
    Ich war zu schockiert, um irgend etwas unternehmen zu können.
    Ich hielt mich an der Dachrinne fest, und ich spürte, daß die anderen inzwischen gegangen waren, daß er jetzt allein war. Und mich ließ die Frage nicht locker: »Was zum Teufel ist das für eine Anwesenheit, die er da spürt?«
    Schließlich war ich nicht mehr Lestat, ich war dieser Dämon, dieser mächtige und gierige Vampir, aber dennoch spürte er meine Anwesenheit, die Anwesenheit Lestats, des jungen Mannes, den er gekannt hatte. Irgend etwas hatte er in meinem Monsterwesen ausgemacht, das er kannte und liebte.
    Ich lauschte nicht mehr auf ihn. Ich lag einfach auf dem Dach. Aber ich wußte, daß er sich da unten bewegte. Ich wußte, daß er seine Geige von ihrem Platz auf dem Pianoforte nahm, und ich wußte, daß er wieder am Fenster stand. Und ich hielt mir die Ohren zu.
    Doch es half nichts. Die Töne erhoben sich von seinem Instrument und zerteilten die Nacht. Er strich über die Saiten, und ich konnte ihn unter meinen Augenlidern sehen, wie er sich hin und her wiegte, den Kopf auf die Geige gelehnt, als

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