Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
drinnen warst!«
Gabrielle konnte sich ein kurzes, spöttisches Lachen nicht verkneifen. Ich legte meine Hand auf seine Brust und versuchte, ihn fortzustoßen. Er war wohl ebenso stark wie Magnus. Aber ich weigerte mich, Angst zu haben. »Warum sollen sie das nicht wissen?« flüsterte ich und sah ihm geradewegs ins Gesicht.
Er machte eine derart verblüffende und gräßliche Wandlung durch, daß es mir den Atem verschlug. Sein engelhaftes Aussehen schien dahinzudorren, seine Augen weiteten sich, und seine Mundwinkel waren scharf nach unten gezogen. Sein Körper krümmte sich vor Anstrengung, nicht mit den Zähnen zu knirschen und die Fäuste zu ballen.
Gabrielle wandte sich zur Seite. Ich lachte. Konnte es mir einfach nicht verkneifen. Es war gespenstisch. Aber es war auch sehr komisch.
Doch so plötzlich, wie es gekommen war, verschwand dieses Trugbild, wenn es denn eins war, und er gewann seine alte Fassung wieder. Sogar der erhabene Ausdruck stellte sich wieder ein. In einem ruhig fließenden Gedankenstrom teilte er mir mit, daß ich unendlich viel stärker sei, als er vermutet habe. Aber es würde den anderen einen Schrecken einjagen, wenn sie ihn aus der Kirche kommen sähen, und darum sollten wir uns sofort aufmachen. »Schon wieder gelogen«, flüsterte Gabrielle. Und ich wußte, daß sein Stolz nichts verzieh. Gott helfe Nicolas, sollte es uns nicht gelingen, ihn zu überlisten!
Ich wandte mich um, nahm Gabrielles Hand, und wir gingen dem Eingangsportal entgegen, Gabrielle blickte mich fragend an, ihr Gesicht blaß und angespannt.
»Geduld«, flüsterte ich. Er stand weit weg von uns, mit dem Rücken zum Hauptaltar, und er starrte uns aus riesigen Augen an, wie ein ekelerregender Geist.
Ich ging zur Vorhalle und übermittelte den anderen mit meiner ganzen Geisteskraft meine Kunde. Und zwar laut geflüstert, wegen Gabrielle. Ich forderte sie auf, zurück und in die Kirche zu kommen, kein Haar würde ihnen gekrümmt werden, ihr Anführer sei schließlich auch in der Kirche, ja, stehe wohlauf direkt vor dem Hochaltar.
Ich ließ meine Stimme anschwellen, während ich sprach, verlieh meinen Worten einen regelrechten Befehlston, und Gabrielle fiel harmonisch ein und sprach die Sätze unisono mit mir.
Ich spürte, wie er sich uns vom Hochaltar aus näherte, und dann war er plötzlich wie vom Erdboden verschwunden, ich wußte nicht mehr, wo er war.
Unvermittelt packte er mich, materialisierte sich neben mir, und Gabrielle wurde zu Boden geworfen. Er versuchte, mich hochzuheben und durch das Portal zu schleudern.
Aber ich wehrte mich. Und während ich mir verzweifelt alles ins Gedächtnis rief, was mich an Magnus erinnerte - seinen seltsamen Gang etwa, der den eigentümlichen Bewegungen dieser Kreatur nicht unähnlich war -, katapultierte ich ihn mitten durch die Luft.
Genau wie ich erwartet hatte, machte er einen Salto und knallte gegen die Wand.
Die Sterblichen schreckten auf. Sie gewahrten Bewegung, hörten Geräusche. Aber schon wieder war er verschwunden. Und Gabrielle und ich sahen wie ganz normale Gemeindemitglieder aus.
Ich bedeutete Gabrielle, die Flucht zu ergreifen. Da tauchte er wieder auf und schoß auf mich zu, aber ich wußte schon, was er im Schilde führte, und sprang zur Seite.
Gut fünf Meter von mir entfernt lag er auf dem Boden ausgestreckt, und er starrte mich so ehrfurchtsvoll an, als sei ich ein Gott. Sein langes, kastanienfarbenes Haar war durcheinander, seine braunen Augen waren zu Wagenrädern geweitet. Und trotz seines freundlichen Unschuldsgesichts toste seine Willenskraft auf mich ein, ein kochender Strom von Verwünschungen, um mir mitzuteilen, daß ich schwach und ein Narr sei und daß mir seine Anhänger gleich jedes Glied einzeln ausreißen würden. Sie würden meinen sterblichen Liebhaber langsam zu Tode braten.
Ich lachte in mich hinein. Das war alles so absurd wie ein Kampf in der alten Commedia.
Gabrielle sah uns abwechselnd an, während ich wieder anfing, den anderen meine Aufforderungen gedanklich zu übermitteln, und diesmal hörte ich sie antworten, Fragen stellen.
»Kommt in die Kirche«, wiederholte ich unentwegt, sogar noch, als er sich erhob und mir in blinder Wut entgegenstürzte. Gabrielle bekam ihn gleichzeitig mit mir zu fassen, und wir hielten ihn fest, und er konnte sich nicht bewegen.
Dann ein Schrecken ohnegleichen - er versuchte, seine Fangzähne in meinen Hals zu rammen. Seine Augen waren rund und leer, als seine geschürzten Lippen die Zähne
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