Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
zusammen.
Stille. Nur noch Sterbliche da draußen, die gegen den Wind rudernd den Place de Gréve überquerten. Ich hätte nicht geglaubt, daß sie sich zurückziehen würden. Was sollten wir jetzt tun, um Nicki zu retten?
Plötzlich war ich sehr müde. Ein Gefühl der Verzweiflung beschlich mich, und ich dachte bestürzt: >Das ist lächerlich, ich verzweifle nie! Andere vielleicht, aber ich doch nicht. Ich kämpfe weiter, egal was passiert. Immer.< Und erschöpft und wütend, wie ich war, sah ich Magnus in den Flammen hoch- und niederspringen, ich sah sein fratzenartiges Gesicht, ehe das Feuer ihn ergriff und er verschwand. War das Verzweiflung?
Das Bild lahmte mich. Entsetzte mich so sehr wie damals die Wirklichkeit. Und ich hatte das seltsame Gefühl, daß mir irgend jemand von Magnus erzählte. Darum hatte ich auch plötzlich an Magnus denken müssen!
»Sehr schlau …«, flüsterte Gabrielle.
»Hör nicht hin. Sie spielen unseren Gedanken einen Streich«, sagte ich.
Aber als ich an ihr vorbei zu dem offenen Portal blickte, sah ich eine kleine Gestalt sich nahem. Die gedrungene Gestalt eines Knaben, nicht eines Mannes.
Ich hoffte bebend, daß es Nicolas sei, wußte aber sofort, daß er es nicht war. Der da war kleiner, wenn auch kräftiger gebaut als Nicolas. Und die Gestalt war kein Mensch.
Die Gestalt war nicht gerade zeitgemäß gekleidet. Sie trug eine umgürtete Tunika mit weiten Ärmeln, sehr elegant, und Socken an den wohlgeformten Beinen. Sie war tatsächlich wie Magnus angezogen, und einen Moment fang dachte ich, daß Magnus durch Zauberkraft zurückgekommen sei.
Dummer Gedanke. Es handelte sich, wie gesagt, um einen Knaben, und er hatte langes Lockenhaar, und er ging geradewegs und festen Schritts durch das silberne Licht in die Kirche. Er zögerte einen Moment. Offenbar blickte er nach oben. Und er kam uns durch das Mittelschiff entgegen, und zwar völlig geräuschlos.
Er blieb im Kerzenschein des Seitenaltars stehen. Seine einst schöne Kleidung war aus schwarzem Samt, kräftig vom Zahn der Zeit angenagt und überdies schmutzverkrustet. Aber sein Gesicht war strahlend weiß, einfach vollkommen, einem Götterantlitz gleich, Amor, einem Caravaggio-Gemälde entstiegen, verführerisch doch überirdisch, mit kastanienfarbenem Haar und dunkelbraunen Augen.
Ich hielt Gabrielle noch fester im Arm, als ich ihn musterte. Am meisten verblüffte mich an ihm, an dieser un-menschlichen Kreatur, wie unverhohlen er uns anstarrte. Er nahm jedes Detail an uns in prüfenden Augenschein, und dann berührte er ganz leicht den Altar neben sich. Er betrachtete den Altar, das Kruzifix, die Heiligen und sah dann wieder uns an.
Er stand nur ein paar Meter entfernt, und sein Gesicht nahm einen erhabenen Ausdruck an. Und die Stimme, die ich schon zuvor vernommen hatte, drang aus ihm, forderte uns zum Nachgeben auf, sagte mit unbeschreiblicher Freundlichkeit, daß wir einander lieben müßten, er und Gabrielle - deren Namen er nicht aussprach und ich.
Das Ganze mutete ein wenig naiv an.
Ich hielt ihm eisern stand. Instinktiv. Meine Augen wurden undurchsichtig, als habe sich eine Wand niedergesenkt, um den Zugang zu meinen Gedanken zu versperren. Und dennoch war ich von einer derartigen Sehnsucht nach ihm erfüllt, der Sehnsucht, ihm zu verfallen und zu folgen und mich von ihm rühren zu lassen, daß all meine früheren Sehnsüchte dagegen verblaßten. Er war mir ebenso geheimnisvoll wie einst Magnus. Nur daß er schön war, unbeschreiblich schön, und er schien von einer Vielschichtigkeit und Tiefe durchdrungen zu sein, die Magnus abging.
Die Pein meines unsterblichen Lebens lastete wie ein Mühlstein auf mir. Er sagte: Komm Zu mir. Komm zu mir, da nur ich und meinesgleichen dich von deiner Einsamkeit befreien können. Diese Worte loteten die tiefsten Abgründe meiner Traurigkeit aus, und in meinem Hals bildete sich ein dicker Knoten, aber ich blieb standhaft.
Wir zwei sind zusammen, beharrte ich und klammerte Gabrielle noch fester an mich. Und dann fragte ich ihn: Wo ist Nicolas? Hartnäckig stellte ich diese Frage, ließ mich durch nichts ablenken.
Er leckte sich über die Lippen; ein äußerst menschlicher Akt. Und lautlos näherte er sich uns bis auf einen halben Meter, sah uns abwechselnd an. Und er sprach mit einer Stimme, die sich alles andere als menschlich anhörte.
»Magnus«, sagte er unaufdringlich und zärtlich. »Er ging ins Feuer, wie du sagtest?«
»Das habe ich nie gesagt«, antwortete ich. Der
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