Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
menschliche Klang meiner Stimme verblüffte mich. Aber ich wußte jetzt, daß er auf meine gerade verflossenen Gedankenbilder anspielte. »Das ist richtig«, antwortete ich. »Er ging ins Feuer.« Warum hätte ich die Wahrheit verheimlichen sollen?
Ich versuchte, sein Inneres zu durchschauen, was ihm nicht entging. Er bestürmte mich mit derart seltsamen Bildern, daß ich keuchte. Was hatte ich da einen Augenblick lang gesehen? Ich wußte es selbst nicht. Himmel und Hölle oder beides in einem, Vampire im Paradies, die Blut von üppig wuchernden Blumen tranken.
Abscheu erfüllte mich. Mir war, als sei er wie ein Sukkubus in meine intimsten Träume eingedrungen.
Aber er hatte sogleich wieder aufgehört. Er kniff die Augen leicht zusammen und blickte fast rücksichtsvoll zu Boden. Er hatte wohl mit einer anderen Reaktion gerechnet. Was er nicht erwartet hatte, war… was? Solche Kraft?
Genau, und er ließ es mich auf beinahe höfliche Weise wissen. Und ich erwiderte diese Höflichkeit. Ich ließ ihn das Turmzimmer mit mir und Magnus sehen; ich rief Magnus’ Worte wach, ehe er ins Feuer ging. Ich ließ ihn alles wissen.
Er nickte, und als ich die Worte des Magnus wiederholte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck kaum merklich, die Stirn glättete, die Haut straffte sich. Aber er vergalt mir meine Offenheit nicht mit Einblicken in sein Wesen. Im Gegenteil, zu meiner großen Überraschung wandte er seinen Blick zum Hauptaltar. Er glitt an uns vorbei, kehrte uns den Rücken zu, als hätte er von uns nichts zu befürchten, als hätte er uns momentan vergessen.
Er schritt durch das Mittelschiff, aber seine Bewegungen waren nicht die eines Menschen. Er huschte von Schatten zu Schatten, so daß er ständig zu verschwinden und wieder aufzutauchen schien. Im Licht war er stets unsichtbar. Und wenn ihn einer der Sterblichen in der Kirche zufällig ansah, löste er sich sofort in Luft auf.
Ich bewunderte sein Geschick, denn um nichts weiter handelte es sich. Und um herauszufinden, ob ich mich auch so vorwärtsbewegen könnte, folgte ich ihm zum Chor. Gabrielle kam lautlos hinter mir her.
Es klappte besser, als wir uns vorgestellt hatten. Und er war sichtlich verblüfft, als er uns neben sich sah. Und in dieser Verblüffung enthüllte er mir kurz seinen schwächsten Punkt - Stolz. Er fühlte sich gedemütigt, weil wir so unbeschwerlich an ihn herangeschlichen waren und ihm gleichzeitig unsere Gedanken hatten verheimlichen können.
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Als er begriff, daß ich das erkannt hatte… er hatte einen verräterischen Bruchteil einer Sekunde nicht aufgepaßt… war er um so wütender. Er sandte eine verdorrte Hitzewelle aus, die alles andere als heiß war.
Gabrielle entfuhr ein verächtliches Schnauben. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, ein verstohlenes Kommunizieren, das mich außen vor ließ.
Er schien verwirrt zu sein. Aber er hatte noch irgendeinen weit größeren Kampf zu bestehen, dessen Geheimnis ich vergeblich zu lüften trachtete. Er sah die Gläubigen an und den Altar und all die Symbole des Allmächtigen und der Jungfrau Maria. Und wenn das Licht auf seinem weißen, unschuldig blickenden Gesicht spielte, war er wirklich ein von Caravaggio gemalter Gott.
Dann führte er seinen Arm unter meinen Umhang und legte ihn mir um die Hüfte. Das fühlte sich so lieblich und verführerisch an, daß ich mich nicht rührte. Er legte den anderen Arm um Gabrielles Hüfte, und als ich die beiden so zusammen sah, Engel neben Engel, geriet ich völlig außer mich.
Er sagte: Ihr müßt kommen.
»Warum, wohin?« fragte Gabrielle. Ich spürte, wie er mich einem gewaltigen Druck aussetzte. Er wollte mich gegen meinen Willen in Bewegung setzen, was ihm aber nicht gelang. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Gabrielles Gesichtszüge verhärteten sich, als sie ihn ansah. Und wieder war er erstaunt. Er war verärgert und konnte es nicht vor uns verbergen.
Er hatte also unsere körperliche wie auch geistige Kraft unterschätzt. Interessant.
»Ihr müßt jetzt kommen«, sagte er und wollte mir mit aller Gewalt seinen Willen aufzwängen, aber das durchschaute ich so schnell, daß er mich nicht täuschen konnte. »Kommt raus, und meine Anhänger werden euch nichts tun.«
»Du lügst uns an«, sagte ich. »Du hast deine Anhänger fortgeschickt, und du möchtest, daß wir rausgehen, bevor sie zurück sind, weil du nicht willst, daß sie dich aus der Kirche kommen sehen. Sie sollen nicht wissen, daß du hier
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