Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
freigaben. Ich stieß ihn zurück, und schon war er wieder verschwunden.
Da näherten sie sich, die anderen.
»Er ist in der Kirche, euer Meister, seht ihn euch an!« sagte ich. »Jeder von euch kann in die Kirche kommen. Euch wird nichts geschehen.«
Gabrielle schrie auf, um mich zu warnen. Zu spät. Er tauchte direkt vor mir auf, wie aus dem Boden gestampft, verpaßte mir einen Haken gegen das Kinn und riß meinen Kopf nach hinten, daß ich die Kirchendecke sah. Und ehe ich noch Luft holen konnte, hatte er mir einen gewaltigen Schlag auf den Rücken versetzt und mich durch das Portal mitten auf den Platz gewirbelt.
Teil 4
Die Kinder der Finsternis
1
Regen. Das war alles, was ich sehen konnte. Aber ich konnte sie allesamt um mich herum hören. Und er schnarrte seine Befehle.
»Nicht viel los mit den beiden«, sagte er ihnen mittels seiner Gedanken. Es hatte den Anschein, als würde er einen Haufen vagabundierender Kinder befehligen. »Nehmt sie beide gefangen.«
Gabrielle sagte: »Lestat, wehre dich nicht. Es hat keinen Zweck, das unnötig in die Länge zu ziehen.«
Und ich wußte, daß sie recht hatte. Aber ich hatte mich noch nie im Leben jemandem ergeben. Und ich zog sie hinter mir her, vorbei am Hôtel-Dieu, der Brücke entgegen.
Wir kämpften uns an durchnäßten Mänteln und dreckverspritzten Kutschen vorbei, aber sie holten auf, flitzten so geschwind, daß sie für die Sterblichen so gut wie unsichtbar blieben, und sie hatten jetzt kaum noch Angst vor uns.
In den dunklen Straßen des linken Ufers war das Spiel aus. Weiße Gesichter tauchten über und unter mir wie dämonische Engelchen auf, und als ich meine Waffe zu ziehen versuchte, spürte ich ihre Hände auf meinen Armen. Ich hörte Gabrielle sagen: »Laß es uns hinter uns bringen.«
So sehr ich auch mit dem Degen um mich schlug, es nutzte nichts, sie hoben mich und Gabrielle empor. Ein Flammenmeer gräßlicher Bilder loderte auf, und ich wußte, wohin sie uns brachten. Zum Friedhof Les Innocents, nur ein paar Meter von hier. Ich konnte schon das Flackern der Feuer sehen, die jede Nacht zwischen den stinkenden, offenen Gräbern entfacht wurden, um die üblen Ausdünstungen zu vertreiben.
Ich klemmte meinen Arm um Gabrielles Hals und schrie aus Leibeskräften, daß ich diesen Gestank nicht ertragen könne, aber sie trugen uns hurtig durch die Dunkelheit, durch die Gatter und an den weißen Marmorgrüften vorbei.
»Ihr haltet das doch auch nicht aus«, sagte ich kämpfend. »Warum lebt ihr unter den Toten, wenn ihr dazu bestimmt wurdet, euch an den Lebenden gütlich zu halten?«
Aber schließlich war ich von derartigem Abscheu erfüllt, daß ich mich nicht mehr wehren konnte. Weder physisch noch verbal. Überall um uns herum lagen Leichen in verschiedenen Stadien der Verwesung, und selbst aus den vornehmen Grabstätten quoll dieser betäubende Geruch. Und als wir uns den dunkleren Gefilden des Friedhofs näherten, als wir eine riesige Grabstätte betraten, wurde mir klar, daß sie den Gestank nicht minder haßten als ich. Ihr Ekel war offenkundig, und dennoch öffneten sie geradezu begierig ihre Münder und Lungen. Gabrielle grub zitternd ihre Finger in meinen Hals.
Wir gelangten durch ein neuerliches Portal, und dann, bei fahlem Fackellicht, ging es eine Treppe aus gestampfter Erde hinab. Der Geruch wurde stärker, er schien geradezu aus den Lehmwänden zu dünsten. Ich neigte meinen Kopf und kotzte einen dünnen Blutstrom auf die Stufen unter mir, der hinter unseren Schritten rasch versickerte.
»Zwischen Gräbern zu hausen!« sagte ich wütend. »Sagt doch mal, warum erleidet ihr jetzt schon aus freien Stücken die Hölle?«
»Sei ruhig«, flüsterte eine schwarzäugige Frau mit hexenzerzaustem Haar neben mir. »Du Gotteslästerer, du fluchbelegter Heide.«
»Laß dich nicht vom Teufel zum Narren halten, Liebling!« höhnte ich. Wir standen uns Aug in Aug gegenüber. »Es sei denn, er behandelt euch auch nur ein Stück besser als der Allmächtige!«
Sie lachte. Oder vielmehr, sie fing zu lachen an, hörte dann aber gleich wieder auf, als sei Lachen nicht schicklich. Alles deutete auf ein reizendes Beisammensein hin!
Immer tiefer ging es hinab in das Erdreich. Flackerndes Licht, das Scharren ihrer nackten Füße, schmutzige Lumpen, die mir ins Gesicht flatterten. Einen Augenblick lang sah ich einen grinsenden Schädel. Dann wieder einen, dann eine ganze Pyramide von Totenköpfen in einer Wandnische.
Als ich mich loszureißen
Weitere Kostenlose Bücher