Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
die Augen und ließ die heiße Flut in meine Eingeweide dringen - oder was immer jetzt da unten in diesem harten, kraftvollen weißen Leib sein mochte. Benommen sah ich, wie er auf den Knien durch das Zimmer rutschte . So köstlich schwerfällig . So leicht, ihn hochzuheben aus diesem Gewühl aus zerknüllten, zerreißenden Zeitungen, derweil die umgekippte Tasse kalten Kaffee in den staubfarbenen Teppich rinnen läßt.
    Ich riß ihn am Kragen zurück. Seine großen leeren Augen drehten sich in den Höhlen nach hinten. Dann trat er nach mir, blindlings, dieser Maulheld, dieser Mörder der Alten und Schwachen, und sein Schuh schürfte an meinem Schienbein. Ich hob ihn noch einmal an meinen hungrigen Mund und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar, und ich fühlte, wie er steif wurde, als seien meine Fangzähne in Gift getaucht.
    Wieder flutete das Blut in mein Hirn. Ich spürte, wie es die winzigen Adern meines Gesichts elektrisierte. Ich spürte, wie es noch bis in meine Finger hinunter pulsierte, und heiße, prickelnde Wärme glitt an meiner Wirbelsäule hinunter. Zug um Zug erfüllte mich. Saftiges, schweres Geschöpf. Wieder ließ ich ihn los, und als er diesmal davontaumelte, setzte ich ihm nach, schleifte ihn über den Boden, drehte sein Gesicht zu mir herum, warf ihn dann vornüber und ließ ihn wieder zappeln.
    Er redete jetzt mit mir; er benutzte etwas, das Sprache sein sollte, aber keine war. Er stieß nach mir, konnte aber nicht mehr klar sehen. Und zum erstenmal durchströmte ihn eine tragische Würde, ein unbestimmter Ausdruck der Empörung, so blind er auch war. Anscheinend war ich jetzt geschmückt und umhüllt von alten Geschichten, Erinnerungen an Gipsstatuen und namenlose Heilige. Seine Finger krallten sich an den Innenrist meiner Schuhe. Ich hob ihn auf, und als ich die Zähne diesmal in seinen Hals schlug, war die Wunde zu groß. Es war vorbei.
    Der Tod kam wie ein Fausthieb in den Bauch. Einen Moment lang empfand ich Übelkeit und dann einfach die Hitze, die Fülle, den reinen Glanz des lebendigen Blutes in jener letzten Vibration des Bewußtseins, die durch alle meine Glieder pulsierte.
    Ich sank auf sein besudeltes Bett. Ich weiß nicht, wie lange ich dort liegen blieb.
    Ich starrte an die niedrige Decke. Und dann, als die sauren, muffigen Gerüche des Zimmers und der Gestank seiner Leiche mich umgaben, stand ich auf und stolperte hinaus, eine ebenso plumpe Gestalt, wie er es sicher gewesen war, ließ mich erschlaffen in diesen sterblichen Gesten, in Wut und Haß, in Schweigen, denn ich wollte nicht der Schwerelose sein, der Geflügelte, der Nachtwanderer. Ich wollte ein Mensch sein, wie ein Mensch fühlen, und sein Blut durchströmte mich ganz, und es war nicht genug. Nicht annähernd genug!
    Was war aus all meinen Versprechungen geworden? Die starren, zerzausten Palmstrünke rasselten an der Stuckmauer.
    »Oh, du bist wieder da«, sagte sie zu mir.
    Was für eine dunkle, starke Stimme sie hatte, ohne das geringste Zittern. Sie stand vor dem häßlichen karierten Schaukelstuhl mit den abgegriffenen Armlehnen aus Ahornholz und spähte mir durch die silbergeränderte Brille entgegen; den Paperback-Roman hielt sie in der Hand. Ihr Mund war klein und formlos und zeigte ein wenig von ihren gelben Zähnen, ein scheußlicher Kontrast zu der dunklen Persönlichkeit ihrer Stimme, die keinerlei Gebrechlichkeit kannte.
    Was in Gottes Namen dachte sie, als sie mich anlächelte? Warum betete sie nicht?
    »Ich wußte, daß du kommen würdest.« Sie nahm die Brille ab, und ich sah, daß ihre Augen glasig waren. Was sah sie? Was ließ ich sie sehen? Ich, der ich alle diese Elemente makellos steuern kann, war so verblüfft, daß ich hätte weinen können. »Ja, ich wußte es.«
    »Ach? Und woher wußtest du es?« flüsterte ich, als ich auf sie zuging; ich liebte die uns umschließende Enge dieses gewöhnlichen kleinen Zimmers.
    Ich streckte diese monströsen Finger nach ihr aus, zu weiß, um menschlich zu sein, stark genug, um ihr den Kopf abzureißen, und ich befühlte ihre kleine Kehle. Ein Hauch von Chantilly - oder irgendein anderer Supermarktduft.
    »Ja«, sagte sie leichthin und entschieden zugleich, »ich wußte es immer.«
    »Dann küß mich. Liebe mich.«
    Wie heiß sie war und wie winzig ihre Schultern, wie hinreißend in diesem letzten Welken: die Blume, gelb überhaucht, aber immer noch voller Duft, blaßblaue Adern, die unter der schlaffen Haut tanzten, Lider, die sich vollkommen an die Augen

Weitere Kostenlose Bücher