Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
und Gott und dem Teufel in dem Cafe in Paris und von David am Kamin mit der Bibel in der Hand, wie er behauptete, Gott sei nicht vollkommen. Manchmal waren meine Augen geschlossen, manchmal offen. Und sie hielt die ganze Zeit meine Hand.
Leute kamen und gingen. Arzte diskutierten. Eine Frau weinte. Draußen war es wieder hell. Ich sah das Licht, als die Tür aufging, und ein grausamer Schwall kalter Luft fegte durch den Korridor. »Wie sollen wir alle diese Patienten waschen?« fragte eine Krankenschwester. »Die Frau da muß isoliert werden. Rufen Sie den Arzt. Sagen Sie ihm, wir haben hier einen Fall von Meningitis auf der Etage.«
»Es ist wieder Morgen, nicht wahr? Sie müssen so müde sein; Sie waren ja den ganzen Nachmittag und die Nacht hindurch bei mir. Ich habe solche Angst, aber ich weiß, daß Sie jetzt gehen müssen.«
Man brachte immer neue Kranke herein. Der Arzt kam zu ihr und sagte ihr, sie müßten alle Bahren so drehen, daß sie mit dem Kopfende an der Wand stünden, aber sie solle jetzt nach Hause gehen. Mehrere neue Schwestern hätten jetzt den Dienst angetreten, und sie solle sich ausruhen.
Weinte ich? Die kleine Nadel tat meinem Arm weh, und wie trocken meine Kehle war, wie trocken meine Lippen.
»Offiziell können wir alle diese Patienten gar nicht mehr aufnehmen.«
»Können Sie mich hören, Gretchen?« fragte ich. »Können Sie verstehen, was ich sage?«
»Das haben Sie mich immer wieder gefragt«, antwortete sie, »und jedesmal habe ich Ihnen gesagt, ich kann Sie hören, ich kann Sie verstehen. Ich höre Ihnen zu. Ich lasse Sie nicht allein.«
»Liebes Gretchen. Schwester Gretchen.«
»Ich möchte Sie hier herausholen und mitnehmen.«
»Was?«
»Mitnehmen, mit zu mir nach Hause. Es geht Ihnen schon viel besser, und das Fieber ist deutlich gesunken. Aber wenn Sie hierbleiben …« Verwirrung spiegelte sich in ihrem Gesicht. Sie hielt mir die Tasse wieder an die Lippen, und ich trank mehrere Schlucke.
»Ich verstehe. Ja, bitte nehmen Sie mich mit, bitte.« Ich versuchte mich aufzurichten. »Ich habe Angst hierzubleiben.«
»Noch nicht gleich.« Sanft drückte sie mich zurück auf die Liege. Dann riß sie das Pflaster an meinem Arm ab und zog die bösartige kleine Nadel heraus. O Gott, ich mußte pissen! Nahmen diese widerlichen körperlichen Notwendigkeiten denn gar kein Ende? Was zum Teufel war denn Sterblichkeit? Scheißen, pissen, fressen -und dann der gleiche Kreislauf wieder von vorn! Ist der Anblick der Sonne das wert? Es reichte nicht, daß ich im Sterben lag. Ich mußte auch noch pissen. Aber ich konnte es nicht ertragen, noch einmal diese Flasche zu benutzen, auch wenn ich mich an das letztemal kaum erinnern konnte.
»Wieso haben Sie keine Angst vor mir?« fragte ich. »Halten Sie mich nicht für wahnsinnig?«
»Sie verletzen Menschen nur, wenn Sie ein Vampir sind«, sagte sie schlicht.
»Wenn Sie in Ihrem rechtmäßigen Körper sind. Ist es nicht so?«
»Ja«, sagte ich, »so ist es. Aber Sie sind wie Claudia. Sie haben vor nichts Angst.«
» Du willst uns zum Narren halten«, sagte Claudia. »Du wirst auch ihr etwas antun.«
»Unsinn. Sie glaubt es nicht«, sagte ich. Ich setzte mich auf die Couch im Salon des kleinen Hotels und musterte den kleinen, feinen Raum, ich fühlte mich sehr zu Hause inmitten dieser zierlichen alten vergoldeten Möbel. Das achtzehnte Jahrhundert, mein Jahrhundert. Das Jahrhundert des Schurken und des rationalen Menschen. Die vollkommene Zeit für mich.
Petit-point-Blüten. Brokat. Vergoldete Schwerter und das Lachen betrunkener Männer unten auf der Straße.
David stand am Fenster und schaute hinaus über die niedrigen Dächer der Kolonialstadt. War er je zuvor in diesem Jahrhundert gewesen?
»Nein, noch nie«, sagte er voller Ehrfurcht. »Jede Oberfläche ist mit der Hand bearbeitet, jedes Maß ist unregelmäßig. Wie kraftlos hält alles Geschaffene die Natur im Zaum, als könne alles mühelos in die Erde zurückgleiten.«
»Gehen Sie weg, David», sagte Louis. »Sie gehören nicht hierher. Wir müssen hierbleiben. Wir können nichts tun.«
»Das ist nun aber ein bißchen melodramatisch«, sagte Claudia. Sie trug das schmutzige kleine Hemd aus dem Hospital. Nun, das würde ich bald ändern. Ich würde die Läden mit Spitzen und Bändern für sie ausplündern. Seide würde ich ihr kaufen und winzige Silberarmbänder und perlenbesetzte Ringe.
Ich legte den Arm um sie. »Ah, wie schön, jemanden die Wahrheit sprechen zu hören«,
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