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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihren roten Ziegeldächern und den Swimming-pools, in denen türkisblaues Licht schimmerte. Geister gingen um in den großartigen, verdunkelten Räumen des Biltmore. Die massigen Mangrovenbäume streckten ihre primitiven Äste aus und beschatteten die breiten und sorgfältig gepflegten Straßen.
    In Coconut Grove drängte sich die internationale Kundschaft in luxuriösen Hotels und schicken Shopping Mails. Paare umarmten sich auf den hohen Baikonen ihrer glasumschlossenen Eigentumswohnungen, Silhouetten, die über das freundliche Wasser der Bay hinausschauten. Autos jagten über die verkehrsreichen Straßen, vorbei an unaufhörlich tanzenden Palmen und zierlichen Alleebäumen, vorbei an gedrungenen Betonvillen, drapiert mit roten und purpurnen Bougainvilleen hinter kunstvollen schmiedeeisernen Toren.
    Alles das ist Miami, die Stadt des Wassers, die Stadt des Tempos, die Stadt der tropischen Blumen, die Stadt des gewaltigen Himmels. Es ist Miami, mehr als sonst irgendein Ort, was mich veranlaßt, mein Heim in New Orleans zeitweilig zu verlassen. Männer und Frauen von unterschiedlicher Nationalität und Hautfarbe leben in den großen, dichtbesiedelten Wohnvierteln von Miami. Man hört Jiddisch und Hebräisch, die Sprachen von Spanien und Haiti, Dialekte und Akzente aus Lateinamerika, aus dem tiefen Süden wie aus dem Norden der USA. Es liegt Bedrohlichkeit unter der glänzenden Oberfläche von Miami, Verzweiflung und pochende Gier; es ist der tiefe, stete Puls einer großen Kapitale - die dumpf mahlende Energie, das endlose Risiko.
    Es ist nie wirklich dunkel in Miami. Und nie wirklich still.
    Es ist die perfekte Stadt für einen Vampir, und immer überläßt sie mir einen sterblichen Mörder - einen verqueren, unheimlichen Leckerbissen, der ein Dutzend seiner eigenen Mordtaten an mich abtritt, während ich seine Gedächtnisspeicher und sein Blut abzapfe,
    Aber heute nacht war Großwildjagd, ein ganz unzeitgemäßes Osterfest nach einer Fastenzeit des Hungers - die Jagd auf eine jener prachtvollen menschlichen Trophäen, deren grausige Vorgehensweise bei ihren Taten in den Computerdateien der sterblichen Polizeibehörden Unmengen von Seiten füllt, ein Wesen, das die anbetungsvolle Presse in seiner Anonymität mit einem fetzigen Namen gesalbt hat: Back Street Strangler - der Würger aus dem Hinterland der Straßen.
    Mich gelüstet nach solchen Mördern!
    Welch ein Glücksfall für mich, daß eine solche Berühmtheit in meiner Lieblingsstadt aufgetaucht war. Welch ein Glücksfall, daß er hier in diesen Straßen schon sechsmal zugeschlagen hatte - ein Schlächter der Kranken und Gebrechlichen, die in so großer Zahl hierher kommen, um ihre letzten Tage in diesem warmen Klima zu verbringen. Ah, ich hätte einen ganzen Kontinent durchquert, um ihn aufzustöbern, aber hier ist er und wartet auf mich. Seine dunkle Geschichte, von nicht weniger als zwanzig Kriminologen detailliert dargelegt und über den Computer in meinem Bau in New Orleans mühelos ausgekundschaftet, habe ich heimlich um die entscheidenden Elemente bereichert: um seinen Namen und seinen sterblichen Wohnort. Ein einfacher Trick für einen dunklen Gott, der Gedanken lesen kann. Durch seine blutgetränkten Träume habe ich ihn gefunden. Und heute nacht werde ich das Vergnügen haben, seine ruhmreiche Karriere in einer dunklen, grausamen Umarmung zu beenden, ohne ein Fünkchen moralischer Erleuchtung.
    Ah, Miami. Der perfekte Ort für dieses kleine Passionsspiel.
    Ich komme immer wieder nach Miami zurück, wie ich auch immer wieder nach New Orleans zurückkomme. Und ich bin jetzt der einzige Unsterbliche, der in dieser herrlichen Ecke des Wilden Gartens jagt, denn wie Sie gesehen haben, sind die anderen längst ausgeflogen aus dem Haus des Zirkels hier - sie konnten einander ebenso wenig ertragen, wie ich ihre Gesellschaft ertrug.
    Aber um so besser - so habe ich Miami für mich allein.
    Ich stand an einem der vorderen Fenster in meiner Suite im Park Central Hotel, einer kleinen Nobelherberge am Ocean Drive, und ließ mein übernatürliches Gehör hin und wieder durch die Zimmer ringsherum schweifen, wo die reichen Touristen jene erstklassige Sorte Einsamkeit genossen, die aus vollständiger Abgeschiedenheit besteht, gepaart mit dem Vergnügen, nur wenige Schritte weit von der glitzernden Straße entfernt zu wohnen, meinen Champs-Élysées in diesem Augenblick, meiner Via Veneto.
    Mein Würger war fast bereit; gleich würde er aus dem Reich seiner

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