Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
da oben habe ich mehr gesehen!« rief ich. »Ich habe den Himmel gesehen. Den vollendeten Garten, der nicht länger der Wilde Garten war. Ich habe ihn gesehen!« Wieder begann ich zu weinen.
    »Ich weiß, ich weiß«, tröstete er mich.
    »In Ordnung.« Ich riß mich zusammen, leicht beschämt. Dann suchte ich in meinen Taschen, fühlte ein leinenes Taschentuch, zog es hervor und trocknete mir das Gesicht. Das Tuch roch wie mein Haus in New Orleans, wo ich das Taschentuch eingesteckt und das Jackett angezogen hatte, bevor ich mich am heutigen Abend bei Sonnenuntergang aufgemacht hatte, Dora zu kidnappen.
    War das überhaupt noch die gleiche Nacht? Ich hatte keine Ahnung.
    Ich drückte das Tuch gegen meine Lippen. Es roch nach New-Orleans-Staub, nach Moder und Wärme. Ich wischte mir den Mund ab.
    »In Ordnung!« wiederholte ich atemlos. »Wenn du mich noch nicht total überhast.«
    »Kaum!« erwiderte er so höflich, daß es fast hätte von David kommen können.
    »Dann erzähl mir jetzt die Schöpfungsgeschichte. Erzähl mir alles. Leg los. Sag’s mir! Ich…«
    »Ja… ?«
    »Ich muß es wissen!«
    Er erhob sich, schüttelte das Gras von seinem lose fallenden Gewand und sagte: »Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Nun können wir endlich beginnen.«

Kapitel 11
    L aß uns hier im Wald Spazierengehen, während wir reden«, schlug er vor. »Wenn dir das Laufen nichts ausmacht.«
    »Nein, überhaupt nichts«, antwortete ich.
    Er klopfte noch etwas Gras von seiner Kleidung, einem fein gewebten Gewand, so zeitlos und schlicht, daß man es genausogut gestern wie auch schon vor Urzeiten hätte tragen können. Seine Gestalt war insgesamt etwas größer und kräftiger als meine - und auch als die der meisten anderen Menschen. Er entsprach allen mythischen Vorstellungen, die man von einem Engel haben konnte, nur daß seine weißen Schwingen transparent schienen. Ihre Form schimmerte durch eine Art Tarnkappe hindurch, die er mehr aus Bequemlichkeit als aus irgendwelchen anderen Gründen zu tragen schien.
    »Wir bewegen uns außerhalb der Zeit«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen wegen der Männer und Frauen in diesem Wald. Sie können uns nicht wahrnehmen und auch sonst niemand, deshalb kann ich im Moment diese Gestalt beibehalten. Ich muß mich nicht in diesen düsteren, teuflischen Körper zurückziehen, von dem Er meint, daß er mir eher entspräche, wenn ich mich irdischen Dingen widme. Ich selbst wähle eigentlich lieber die Gestalt des unauffälligen Mannes, aber auch das ist jetzt nicht nötig.«
    »Meinst du damit, daß du mir auf der Erde nicht als Engel hättest erscheinen können?«
    »Nicht ohne jede Menge triftige Gründe anzurühren, und ehrlich gesagt, wollte ich es auch gar nicht. Es ist einfach zu überwältigend. Es hätte dich zu sehr zu meinen Gunsten beeinflußt, denn der Engelsgestalt haftet mehr als allen anderen der Anschein des Guten an. Aber den Himmel kann ich nur so betreten, Er will die andere Gestalt nicht sehen, und das nehme ich Ihm nicht übel. Und auf der Erde ist es, offen gesagt, am einfachsten, als der Unauffällige aufzutreten.«
    Etwas wacklig stand ich auf und akzeptierte dabei die Hand, die er mir bot; sie fühlte sich warm und fest an. Und sein ganzer Körper schien genauso wirklich, wie Rogers Körper mir kurz vor dem Ende seiner Erscheinung vorgekommen war.
    Meinen eigenen Körper empfand ich ganz und gar als den meinen und völlig unversehrt. Daß meine Haare total zerzaust waren, wunderte mich nicht. Der Ordnung halber fuhr ich eilig mit einem Kamm hindurch und klopfte dann meine Kleidung ab - den dunklen Anzug, den ich in New Orleans angelegt hatte und der jetzt mit Staubflocken und Grashalmen bedeckt, doch ansonsten unbeschädigt war. Mein Hemd war am Kragen aufgerissen, als hätte ich in dem verzweifelten Bemühen, mir Luft zu verschaffen, daran gezerrt. Ansonsten war ich der gewohnte Dandy, nur daß ich in einem dichten, grünen Wald stand, der völlig anders aussah als all die Wälder, die ich bis dahin kennengelernt hatte. Selbst ein ganz flüchtiger Blick zeigte mir, daß dies kein Regenwald, sondern etwas weitaus weniger Dichtbewachsenes war, wenn auch genauso ursprünglich.
    »Außerhalb der Zeit«, murmelte ich halblaut.
    »Na ja, wir bewegen uns eher in ihr, wie es uns paßt«, sagte er, »wir sind im Moment eigentlich nur ein paar tausend Jahre vor deiner Zeit, falls es dich interessiert. Aber wie ich schon sagte, für die Menschen, die hier umherschweifen, sind

Weitere Kostenlose Bücher