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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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rief ich. »Natürlich will ich alles wissen! Aber ich… ich glaube, ich schaff’s nicht.«
    »Ich kann dir all mein Wissen vermitteln«, sagte er sanft und zuckte leicht mit den mächtigen Schultern.
    Sein Haar war seidiger und kräftiger als menschliche Haare, die Strähnen dichter und eindeutig glänzender. Es ordnete sich fast wie von selbst, schien sich einfach zu entwirren. Ich konnte die Haarwurzeln oberhalb seiner glatten Stirn sehen. Die Haut seines Gesichts, die lange, gutgeformte Nase, der volle, breite Mund, die feste Linie des Kiefers, alles war gleichermaßen glatt und geschmeidig. Ich stellte fest, daß seine Flügel zwar noch vorhanden waren, aber kaum sichtbar. Die Anordnung der Federn, Schicht für Schicht, konnte ich erkennen, aber nur, wenn ich die Augen zusammenkniff in dem Versuch, die Einzelheiten vor einem dunklen Hintergrund, etwa einem Baumstamm, auszumachen.
    »Ich bin zu keinem Gedanken fähig«, sagte ich. »Ich weiß, was du von mir denkst, du glaubst, du hast einen Feigling ausgewählt! Du meinst, daß du einen gräßlichen Fehler gemacht hast. Aber ich kann meinen Verstand nicht gebrauchen. Ich… ich habe Ihn gesehen. Er hat gesagt: >Du würdest doch nicht mein Gegner sein wollen!< Und genau das verlangst du nun von mir! Du hast mich zu Ihm hingerührt und von Ihm fort.«
    »So wie er es erlaubt hat!« sagte Memnoch und zog leicht die Augenbrauen hoch.
    »Ist das so?«
    »Natürlich!« antwortete er.
    »Warum dann hat er mich so dringend gebeten! Warum sah er mich so an?«
    »Weil er dir im Fleisch erschien, und der fleischgewordene Gott leidet und fühlt in Seiner menschlichen Gestalt wie ein Mensch, und so teilte Er sich dir mit, gab dir diesen Teil von Sich, das ist alles! Leiden! Ah, Leiden!«
    Er sah zum Himmel auf und schüttelte den Kopf, dann runzelte er nachdenklich ein wenig die Stirn. Sein Gesicht, in seiner jetzigen Form, konnte gar nicht ergrimmt oder von häßlichen Gefühlen verzerrt erscheinen. Blake hatte wirklich in den Himmel geschaut.
    »Aber es war Gott«, beharrte ich.
    Er hatte den Kopf auf die Seite gelegt und sagte voll Überdruß:
    »Ah, ja, der Leibhaftige Herr.«
    Sein Blick schweifte ab zu den Baumwipfeln. Er schien nicht verärgert oder ungeduldig oder auch nur müde. Ich wußte auch nicht,, ob er dazu überhaupt imstande war. Ich merkte, daß er den Geräuschen dieses fruchtbaren Gartens lauschte.
    Ich schwieg. Ich roch alles mögliche, Tiere, Insekten, den zu Kopf steigenden Duft von Dschungelblüten, jenen überentwickelten, mutierten Blüten, die der Regenwald in seinen Tiefen oder auch den grünblättrigen Höhen der Baumriesen hervorbrachte. Und plötzlich stieg mir der Geruch von Menschen in die Nase! In diesem Wald gab es Menschen. Wir waren an einem realen Ort.
    »Hier sind noch andere Leute«, bemerkte ich.
    »Ja«, antwortete er und lächelte mich sehr liebevoll an. »Du bist kein Feigling. Soll ich dir nun alles erzählen, oder soll ich dich jetzt einfach gehenlassen? Du weiß jetzt schon mehr, als Millionen Menschen jemals im Laufe ihres Lebens erfahren werden. Du weißt zwar nicht, was du mit diesem Wissen anfangen sollst oder wie du weiterhin existieren wirst oder auch nur sein kannst, was du bist… aber du hattest deinen Blick in den Himmel. Soll ich dich gehenlassen? Oder willst du nicht doch erfahren, warum ich dich so sehr brauche?«
    »Doch, ich will es wissen. Aber vor allen Dingen, mehr als alles andere, will ich wissen, wie es kommt, daß du und ich hier Seite an Seite stehen können, als Gegner, und wieso du, trotz deines Äußeren, doch der Teufel bist, und wieso… wieso…« - ich lachte -»… und wieso ich mit meinem Aussehen, wie es nun mal ist, dennoch immer wieder so teuflisch sein konnte! Das genau möchte ich wissen. Nie während meiner ganzen Existenz habe ich erlebt, daß die ästhetischen Gesetze der Welt gebrochen wurden. Schönheit, Gleichmaß, Symmetrie, das sind die einzigen Gesetze, die ich je als natürlich anerkannt habe.
    Und der Wilde Garten war mein Name für diese Gesetzmäßigkeit! Weil sie gnadenlos ist und dem Leid gegenüber gleichgültig - gleichgültig angesichts der Schönheit eines im Spinnennetz gefangenen Schmetterlings! Gleichgültig angesichts des Wildes, dessen Herz noch schlägt, wenn es am Boden liegt und der Löwe schon an der Wunde in seiner Kehle leckt.«
    »Ja, wie gut ich doch deine Philosophie verstehe und respektiere«, sagte er. »Ich könnte es nicht besser ausdrücken.«
    »Aber

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