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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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stattfand.
    »Wenn ich bei Dir bin‹, sagte ich zu Ihm, ›sehe ich die Schönheit, die darin liegt. Aber wenn ich hinabgehe, wenn ich im hohen Gras liege, empfinde ich es anders.‹
    ›Du bist mein Engel und mein Wächter. Überwinde diesen Widerspruchs forderte Er.
    Also kehrte ich zur Erde zurück. Und dann kam die Achte Offenbarung der Evolution: Es tauchten warmblütige Vögel mit gefiederten Schwingen auf!«
    Ich mußte lächeln. Einerseits wegen seines Gesichtsausdrucks, dieses geduldigen, wissenden Ausdrucks, und andererseits wegen des Nachdrucks, den er auf die Beschreibung der Flügel gelegt hatte.
    »Gefiederte Schwingen!« wiederholte er. »Nicht genug, daß wir unser Antlitz bei Insekten, Echsen, Ungeheuern wiederfanden! Nein, nun gab es auch noch ein warmblütiges Geschöpf, zerbrechlich und noch dazu pulsierend von kostbarem Leben, das gefiederte Schwingen hatte! Es flog auf die gleiche Art wie wir. Es erhob sich, breitete die Flügel aus und glitt dahin.
    Nun, dieses Mal war mein Aufschrei nicht der einzige im Himmel. Tausende von Engeln staunten über die Entdeckung, daß kleine Wesen aus Materie Flügel hatten, die den ihren so sehr glichen, Flügel mit weichen Federn, denen gleich, die unsere Flügel bedeckten und sie befähigten, mit dem Wind zu gleiten… Zu all dem gab es nun das Gegenstück in der materiellen Welt!
    Der Himmel dröhnte von Gesängen, Ausrufen, Aufschreien. Engel verfolgten fliegend die Vögel, umkreisten sie, ahmten sie nach und folgten ihnen bis zu ihren Nestern, wo sie zusahen, wie Junge aus den Eiern schlüpften und flügge wurden.
    Nun weißt du ja, daß wir diese ganze Sache von Geburt und Heranwachsen schon bei anderen Geschöpfen gesehen hatten, aber keines hatte so sehr uns selbst geähnelt.«
    »Und Gott schwieg?« fragte ich.
    »Nein. Dieses Mal rief er uns zusammen und fragte, ob wir inzwischen nicht genug gelernt hätten, um von solchem Entsetzen und Hochmut Abstand zu nehmen. Hochmut, sagte Er, sei es, worunter wir so sehr litten; wir seien außer uns, weil solch schwächliche, winzige Dinger, deren Angesicht eigentlich kaum ausgeprägt war, nun wahrhaftig gefiederte Schwingen hatten. Er erteilte uns einen strengen Verweis und mahnte uns: ›Ich sage es euch noch einmal - dieser Prozeß wird sich fortsetzen, und ihr werdet noch seltsamere Dinge sehen, doch ihr seid meine Engel, ihr gehört zu mir, also habt Vertrauen!‹«
    Die Neunte Offenbarung der Evolution war für alle Engel sehr schmerzlich. Sie erfüllte uns mit Schrecken und Furcht. Es war die Entstehung der Säugetiere, deren scheußliche Schmerzensschreie durchdringender zum Himmel emporstiegen als die Laute vom Leiden und Sterben anderer Tiere je zuvor!
    Oooh, hier erfüllte sich aufs schrecklichste die Ahnung einer Furcht, die uns angesichts von Tod und Verfall überkommen hatte.
    Die Gesänge der Engel veränderten sich. Alles, was uns in unserer Angst, unserem Leid blieb, war, das stetig wachsende Erstaunen in Tönen auszudrücken, noch dunkler und noch vielschichtiger als zuvor. Doch das Antlitz Gottes, Sein Licht, zeigte keine Regung.
    Und schließlich die Zehnte Offenbarung der Evolution. Die Affen gingen aufrecht! Wurde da nicht Gottes selbst gespottet? Da war es, plump geformt, mit Haaren bedeckt, das zweibeinige, zweiarmige, aufrechte Geschöpf, nach demselben Bild wie wir geschaffen! Ihm fehlten unsere Schwingen, Gott sei Dank! Aber auch die geflügelten Geschöpfe hatten wahrhaftig in ihrer Entwicklung nicht annähernd unser Vorbild erreicht. Doch da stampfte es über die Erde, mit einem Knüppel bewaffnet, roh und wild; zerriß das Fleisch seiner Feinde mit den Zähnen, schlug, biß und stach alles zu Tode, was sich ihm entgegenstellte. Das Bild Gottes und seiner stolzen Söhne, Seiner Engel, in einer behaarten, stofflichen Gestalt, die unbeholfen mit Werkzeugen hantierte!
    Wie vom Donner gerührt, untersuchten wir die Hände des Geschöpfs. Besaß es etwa Daumen? Beinahe. Mit der gleichen Erschütterung umringten wir seine Sammelplätze. War das Sprache, was aus ihren Mündern drang, der hörbare, flüssige Ausdruck von Gedanken? Beinahe! Was konnte Gott nur für einen Plan haben? Warum hatte Er das getan? Würde das nicht Seinen Zorn erregen?
    Aber das Licht Gottes schien ewig und ohne Unterlaß, als könnte der Schrei des sterbenden Primaten es nicht erreichen, als gäbe es keine Zeugen, wenn der Affe vom größeren Angreifer zerfetzt wurde und der hellodernde Lebensfunke noch einmal

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