Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
blendend wie die Sonne.
Keine Dunkelheit, keine infernalischen Flammen, wie man es sich immer vorstellt. Ich streckte die Arme aus - nein, nicht die Arme, meine Arme konnte ich nicht mehr finden. Mit meinem ganzen Sein, jedem Glied, jeder Faser versuchte ich mich auszubreiten, etwas zu berühren, um mein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Dann fühlte ich festen Boden unter mir und sah dieses Wesen vor mir stehen, mich überschattend. Ich finde einfach keine Worte dafür. Es war grauenvoll. Ganz bestimmt war es das Schlimmste, das ich je gesehen habe! Das Licht befand sich hinter ihm, es stand zwischen mir und diesem Licht, und es hatte ein Gesicht, das Gesicht war dunkel, extrem dunkel - und als ich es anschaute, konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich muß gebrüllt haben. Doch ich habe keine Ahnung, ob man mich in der realen Welt hören konnte.
Als ich wieder zu Verstand kam, war ich noch an der gleichen Stelle, in der Hotellobby. Alles sah ganz gewöhnlich aus, doch ich fühlte mich, als wäre ich jahrelang an diesem anderen Ort gewesen -bruchstückhafte Erinnerungen entwichen meinem Geist, entglitten mir so schnell, daß ich keinen Gedanken, keine Vorstellung festhalten konnte.
Was ich dir gerade gesagt habe, ist alles, woran ich mich mit Sicherheit erinnern kann. Ich stand da. Ich sah die Blumen. Keiner in der Lobby beachtete mich. Ich tat so, als wäre nichts passiert. Aber mein Gehirn war immer noch damit beschäftigt, einzelnen Erinnerungsfragmenten nachzujagen, die aus Gesprächsfetzen, Drohungen, Schilderungen zu bestehen schienen. Ich sah immer noch ganz deutlich dieses wahrhaft häßliche, düstere Geschöpf vor mir, genau den Dämon, den man erfinden würde, wenn man jemanden um seinen Verstand bringen wollte. Immer wieder sehe ich dieses Gesicht und…«
»Ja?«
»Seitdem habe ich ihn noch zweimal gesehen.«
Ich ertappte mich dabei, daß ich mir die Stirn mit der Serviette trocknete, die der Kellner gebracht hatte. Er war gerade wieder an unseren Tisch gekommen. David bestellte noch etwas. Dann beugte er sich dicht zu mir herüber.
»Du denkst also, du hast den Teufel gesehen.«
»Es gibt sonst kaum etwas, was mich so erschrecken könnte, David. Das wissen wir doch beide. Es gibt keinen Vampir, der mich wirklich schreckt, so alt, weise oder grausam er auch wäre. Nicht einmal Maharet. Und welche anderen übernatürlichen Wesen kenne ich außer unserer Art? Elementargeister, Poltergeister, kleine wirrköpfige Dinger, die wir alle kennen und sehen können… die du mit deiner Candomblé-Hexenkraft herbeirufen kannst.«
»Ja«, sagte er.
»Das war er selbst, David.«
Er lächelte, keineswegs unfreundlich oder mitleidlos. »Für dich, Lestat«, neckte er mich sanft und verführerisch, »für dich muß natürlich der Teufel persönlich kommen.«
Wir lachten. Obwohl das, glaube ich,, die Art von Lachen war, die von Schriftstellern üblicherweise als »ein freudloses Lachen« bezeichnet wird.
Ich fuhr fort. »Das zweite Mal erwischte es mich in New Orleans, in der Nähe unserer Wohnung in der Rue Royale. Ich ging die Straße entlang, da hörte ich wieder diese Schritte hinter mir, als ob einem absichtlich jemand folgt und will, daß man es bemerkt. Verdammt, ich habe das schon selbst mit Sterblichen gemacht, und es ist so gemein, so boshaft. Gott! Warum wurde ich bloß erschaffen!
Und beim dritten Mal kam das Wesen mir noch näher. Wieder war es der gleiche Ablauf. Es war riesig, überschattete mich wie ein Turm. Flügel, David! Entweder hat es wirklich Flügel, oder ich habe es mir in meiner Angst nur eingebildet. Es ist ein geflügeltes Geschöpf, und es ist entsetzlich, und dieses letzte Mal konnte ich sein Bild gut genug erfassen, um vor ihm davonzulaufen, zu fliehen, David, wie ein Feigling. Und wie die Male vorher kam ich zu mir an genau der Stelle, an der es auch begonnen hatte. Alles war wie vorher. Nichts hatte sich auch nur im geringsten verändert.«
»Und es spricht nicht mit dir, wenn es vor dir auftaucht?«
»Nein, kein Wort. Es will mich in den Wahnsinn treiben. Es will mich… mich zu irgendeiner Handlung bewegen, vielleicht. Erinnere dich an das, was du mir erzählt hast: daß du nicht weißt, warum Gott und der Teufel dir erschienen sind.«
»Ist dir nicht der Gedanke gekommen, daß da doch eine Verbindung zu deinem Opfer besteht? Daß etwas oder jemand nicht will, daß du diesen Mann tötest?«
»Das ist absurd, David. Denk doch an all das Leid, das allein in dieser Nacht
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