Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
Was man von dem Vampir Lestat, der ihr nachschlich, nicht behaupten konnte. Der war nämlich draußen im Hof und hatte wieder diese Stimme im Ohr, als ob sich direkt hinter seiner rechten Schulter zwei Leute unterhielten, und der andere - der, der mich nicht verfolgt - sagt ganz deutlich: ›Nein, ich sehe ihn aber nicht so.‹ Ich drehe mich um die eigene Achse, ich will dieses Etwas finden, will es mental greifen, ihm gegenübertreten, es herausfordern - doch dann merke ich nur, wie ich zittere von Kopf bis Fuß. Und weißt du was, David? Diese Elementargeister, diese lästigen, kleinen Biester, die ich dort gespürt hatte… die haben dieses Wesen oder was auch immer da sprach, nicht einmal bemerkt.«
»Lestat, du hörst dich an, als hättest du deinen unsterblichen Verstand verloren. Nein, nein, werd nicht ärgerlich. Ich glaube dir ja. Aber denk noch weiter zurück. Warum bist du dem Mädchen gefolgt?«
»Ich wollte sie nur sehen. Mein Opfer macht sich Sorgen - wegen seiner Vergehen und der Ermittlungen der Behörden. Er hat Angst, es könnte etwas an ihr hängenbleiben, wenn er angeklagt wird und die Zeitungen über ihn berichten. Aber es wird keine Anklage geben, das steht fest. Ich werde ihn vorher töten.«
»Hast du das vor? Das könnte ihre Sekte retten. Wenn du ihn bald tötest. Oder irre ich mich?«
»Ich will sie um nichts in der Welt verletzen, das könnte ich einfach nicht.«
Ich schwieg einen Moment.
»Bist du sicher, daß du nicht verliebt bist? Du wirkst, als hätte sie dich verzaubert.«
Ich kramte in meinen Erinnerungen. Vor kurzer Zeit hatte ich mich in eine Sterbliche verliebt, eine Nonne. Gretchen hieß sie. Und ich hatte sie in den Wahnsinn getrieben. David kannte die Geschichte - ich hatte das alles aufgeschrieben. David und Gretchen waren eingegangen in die Welt der Literatur. Das wußte er.
»Ich werde mich Dora nicht so zeigen, wie ich es damals bei Gretchen gemacht habe. Ich habe meine Lektion gelernt. Mich interessiert nur eins: ihren Vater auf eine Weise zu töten, die ihr möglichst wenig Kummer macht, aber vielleicht eine Menge Gutes bewirkt. Sie weiß über ihren Vater Bescheid, aber ich bin mir nicht sicher, ob ihr klar ist, wie unangenehm es seinetwegen für sie werden könnte.«
»Du lieber Himmel, was spielst du da für Spielchen?«
»Na, irgend etwas muß ich doch tun, um mich von dem, was mich verfolgt, abzulenken. Sonst werde ich verrückt.«
»Schhhh… was ist los mit dir? Mein Gott, du bist ja total verstört.«
»Und wie ich das bin«, flüsterte ich.
»Erkläre mir, wie sich dieses Etwas verhält. Was waren das für Wortfetzen?«
»Es lohnt sich nicht, das zu wiederholen. Ich sage dir, es ist ein Streitgespräch; es geht um mich. David, es klingt, als wenn sich Gott und der Teufel stritten - wegen mir!«
Ich hielt den Atem an. Mein Herz klopfte so schnell, daß es weh tat. Und das bedeutete schon einiges bei einem Vampirherzen!
Ich lehnte mich gegen die Wand und musterte die Leute in der Bar - vorwiegend ältliche Sterbliche, Damen in klassisch geschnittenen Pelzmänteln, Männer mit schütterem Haar, gerade genügend alkoholisiert, um sich laut und ungeniert zu benehmen, wie verjüngt.
Der Pianist spielte jetzt eine populäre Melodie, mir schien, etwas aus einem Stück, das gerade am Broadway lief. Traurig und süß klang das, und eine der älteren Frauen in der Bar wiegte sich sachte im Takt der Musik, mit ihren geschminkten Lippen flüsterte sie unhörbar den Text, während sie an ihrer Zigarette zog. Sie gehörte noch zu der Generation, die ihren Lebtag lang geraucht hatte, für die Nichtrauchen unvorstellbar war. Sie hatte eine Haut wie eine Eidechse. Aber sie war ein so argloses, schönes Geschöpf. Sie alle waren so - arglos und schön.
Mein Opfer? Ich konnte ihn hören. Er sprach noch immer mit seiner Tochter. Ob sie nicht doch dieses Geschenk von ihm annehmen wolle? Es war ein Bild, ein Gemälde vielleicht. Dieser Mann würde Berge für sie versetzen, aber sie wollte sein Geschenk nicht haben; und seine Seele konnte sie nicht retten.
Ich erwischte mich bei der Überlegung, wie lange die Pforten von St. Patrick’s wohl geöffnet waren. Sie wollte so dringend dahin.
Wie schon vorher, lehnte sie auch jetzt sein Geld ab. Es sei »unrein«, erklärte sie ihm gerade. »Roger, ich will deine Seele. Ich kann kein Geld für meine Gemeinde von dir nehmen! Du hast es durch Verbrechen erworben. Es ist schmutziges Geld.«
Draußen fiel noch immer der
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