Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
mich, aber dann richtete sie sich auf, und schließlich lief sie fort.
Ich setzte mich auf. Licht kam vom Himmel! Gottes Licht strömte aus dem Himmel herab, auf der Suche nach mir! Ich beeilte mich, aufzustehen und hinauszulaufen in dieses Licht.
›Hier bin ich, Herr!‹ rief ich. ›Herr, ich bin voller Wonne! Herr, Mein Gott, was habe ich für Gefühle kennengelernt, Herr!‹ Ich stimmte einen gewaltigen Lobgesang an, und im gleichen Moment lösten sich die materiellen Teilchen meines Körpers auf, fielen von mir ab, fast als habe das die Macht meiner Engelsstimme bewirkt; ich wuchs zu meiner vollen Größe, breitete meine Schwingen aus und sang dem Himmel meinen Dank für das, was ich in den Armen dieser Frau erfahren hatte.
Gottes Stimme ertönte ruhig und dennoch voller Grimm. ›Memnoch!‹ sprach Er. ›Du bist ein Engel! Was hat ein Engel, ein Sohn Gottes, mit einer Tochter der Menschen zu schaffen?‹
Ehe ich noch antworten konnte, verlosch das Licht und überließ mich einem Wirbelsturm, und während ich darin herumwirbelte, mit den Schwingen darin verfangen, merkte ich, daß die sterbliche Frau noch dort war, am Ufer des Sees, und daß sie etwas ihr Unerklärbares gesehen hatte, denn sie floh nun voller Schrecken.
Sie rannte davon, und ich wurde von dem Wirbel hinaufgetragen, direkt vor die Tore des Himmels, und zum ersten Mal erhoben sie sich vor mir in ihrer ganzen Größe, so wie auch du sie gesehen hast, und direkt vor mir schlugen sie zu. Das Licht traf mich wie ein Blitz und zwang mich nieder, so daß ich fiel wie Blei, mit rasender Geschwindigkeit, wie es auch dir in meinen Armen geschah, nur ich, ich war allein, allein, als ich auf der feuchten Erde aufschlug, unsichtbar, jedoch verletzt, gebrochen, weinend.
›Du, mein Wächter, was hast du getan!‹ hörte ich Gottes Stimme leise, aber ganz deutlich, an meinem Ohr.
Ich begann hemmungslos zu weinen. ›Herr, Gott, dies ist ein entsetzliches Mißverständnis. Laß mich… laß mich Dir meine Sache darlegen…‹
›Bleibe bei den Sterblichen, die du so sehr liebst!‹ sprach Er. ›Mögen sie dir behilflich sein, denn ich will nichts hören, bis mein Zorn vorüber ist. Umarme das Fleisch, nach dem dich so sehr verlangt und mit dem du befleckt bist. Du wirst mir nicht vor die Augen kommen, bis ich dich holen lasse, und ich werde den Zeitpunkt bestimmen‹
Wieder erhob sich der Sturm, und als ich mich auf den Rücken warf, merkte ich, daß ich keine Schwingen mehr hatte und gefangen war im Fleische, in dem Körper, den ich mir geschaffen hatte. Der Allmächtige hatte ihn mir großzügigerweise bis hin zur letzten Zelle wieder zusammengefügt. Und so lag ich dort am Boden, verletzt, schwach, mit schmerzenden Gliedern, wehklagend und traurig.
Ich hatte mich bis dahin noch nicht mit menschlicher Stimme weinen hören. Das Geräusch war nicht laut, nicht herausfordernd oder verzweifelt. Dazu war ich mir immer noch zu sehr bewußt, ein Engel zu sein. Ich war mir zu sicher, daß Gott mich liebte. Ich wußte, daß Er zornig war, ja, aber viele, viele Male schon war er wegen mir erzürnt gewesen.
Was ich fühlte, war der grausame Schmerz, von Ihm getrennt zu sein! Ich konnte nicht mehr nach meinem Willen in den Himmel aufsteigen! Ich konnte dieses Fleisch nicht abschütteln. Und noch während ich mich aufrichtete und die Arme zum Himmel reckte, wurde mir klar, daß ich genau das gerade mit meinem ganzen Sein versuchte, und es gelang mir nicht. Tiefe Trauer kam über mich, so allumfassend, daß ich nur noch den Kopf senken konnte.
Die Nacht war hereingebrochen. Die Sterne am Firmament waren mir so fern, als hätte ich den Himmel nie gekannt. Ich schloß die Augen und hörte das leise Jammern der Seelen in Scheol. Sie drängten sich näher an mich heran, wollten wissen, was ich sei, was das, was sie mit angesehen hatten, bedeutete? Von wo ich zur Erde herabgefallen sei? Bis dahin war ich unbemerkt geblieben, hatte meine Verwandlung verheimlichen können, aber als Gott mich zur Erde hinabgestoßen hatte, war ich ziemlich aufsehenerregend gefallen - als Engel - und unmittelbar darauf in der Gestalt eines Mannes aufgestanden.
Ganz Scheol schrie auf voller Wißbegier und Unruhe.
›Herr, was soll ich ihnen sagen? Hilf mir!‹ bat ich.
Und dann spürte ich den Duft der Frau nahe bei mir. Ich wandte mich um und sah, daß sie vorsichtig herankam, und als sie mein Gesicht sah, meine Tränen und mein Elend, trat sie kühn zu mir. Sie zog mich an ihre
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