Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
mit Sicherheit dachte ich so, als ich da auf der Erde stand in dem Körper eines Mannes.«
»Hättest du in dieser Gestalt verwundet oder getötet werden können?« wollte ich wissen.
»Nein. Aber dazu komme ich sowieso gleich. Denn da ich mich in einem wilden, bewaldeten Gebiet aufhielt, hier, in ebendiesem Tal - Palästina, ehe es überhaupt einen Namen hatte -, als ich also hier stand, ging mir auf, daß dieser Körper durchaus Beute für wilde Tiere sein könnte, deshalb schuf ich um mich herum einen äußerst starken Schild aus meinem Wesenskern, der Ursubstanz der Engel. Der basierte auf elektrischen Strömen. Wenn mich also ein Tier angriff - und das geschah noch im selben Moment -, wurde es durch diesen Schutzschild zurückgestoßen.
So geschützt, beschloß ich, als erstes durch eine nahe gelegene Siedlung zu gehen und alles aus der menschlichen Perspektive zu betrachten, da ich ja nun die Gewißheit hatte, daß mir niemand etwas anhaben konnte. Doch der Schutzschild sollte nicht übernatürlich wirken. Im Gegenteil, es würde nur so aussehen, als wehrte ich Hiebe ab, sofern welche gegen mich ausgeteilt würden - und außerdem wollte ich versuchen, mich so unauffällig wie möglich zu bewegen.
Ich wartete bis zum Einbruch der Nacht und ging zur nächsten Ansiedlung, die kreisförmig angelegt und mit einem Wall versehen war. Es war die größte in diesem Gebiet und schon so mächtig, daß sie Tribut von anderen im Umkreis gelegenen Siedlungen forderte. In über den Platz verteilten Hütten, in denen jeweils ein Feuer brannte, lebten die Männer und Frauen. Es gab einen Versammlungsplatz in der Mitte, und in der Umzäunung waren Tore, die nachts geschlossen werden konnten.
Ich schlüpfte hindurch, ließ mich neben einer Hütte nieder und beobachtete, was die Menschen in diesem Lager bis zum Dunkelwerden und dann während der Nacht taten; von Hütte zu Hütte kroch ich und begutachtete alles.
Am nächsten Tag setzte ich meine Beobachtungen im Wald fort und blieb einer Gruppe von Jägern auf der Spur, immer auf der Hut, daß man mich nicht sah. Entdeckte man mich doch, rannte ich davon, das schien mir die gebräuchlichste und berechenbarste Verhaltensweise. Man verfolgte mich nicht.
Drei Tage und drei Nächte trieb ich mich in der Umgebung dieses Dorfes herum, und in dieser Zeit lernte ich die Beschränktheiten der Menschen kennen, ihre körperlichen Bedürfnisse und Leiden; und nach und nach hatte ich auch ihre Lust kennengelernt, denn ganz plötzlich stellte ich fest, daß sie sich in mir selbst regte.
Das geschah in der Dämmerung des dritten Tages. Ich war inzwischen zu einer ganzen Reihe von Schlußfolgerungen gekommen, die begründeten, warum diese Menschen kein Bestandteil der Natur waren. Ich konnte Gott eine komplette Kette von Beweisen vorlegen und war deshalb drauf und dran, die Erde zu verlassen.
Aber es gab da noch etwas, was Engel immer schon fasziniert hat und was ich selbst in meiner fleischlichen Form noch nicht erfahren hatte, und das war die sexuelle Vereinigung. Nun kann man den Paaren, die sich vereinigen, recht nahe kommen, wenn man unsichtbar und ein Engel ist; man sieht ihre halbgeschlossenen Augen, hört ihre Seufzer, man berührt die geröteten Brüste der Frau und spürt den rasenden Schlag ihres Herzens.
Viele Male hatte ich das getan. Und jetzt wurde mir bewußt, daß diese leidenschaftliche Vereinigung - als wahrhafte Erfahrung - für mich entscheidend sein könnte. Ich hatte Durst und Hunger, Schmerz und Erschöpfung kennengelernt, ich kannte jetzt die Lebensweise der Menschen, ihre Gefühle, Gedanken und Worte. Aber ich wußte nicht, was während der sexuellen Vereinigung geschieht.
Und dann, in der Dämmerung des dritten Tages, als ich an genau diesem See stand, hier an dieser Stelle, die weit von der Siedlung entfernt ist, kam wie aus dem Nichts ein schönes Weib auf mich zu -eine Tochter der Menschen.
Nun hatte ich schon jede Menge schöner Frauen gesehen! Das habe ich dir ja erzählt - als ich das erste Mal die Schönheit einer Frau wahrnahm - ehe die Männer noch so glatt und unbehaart waren -, das war für mich einer der Schocks der Evolution gewesen. Und natürlich hatte ich auch während dieser drei Tage viele schöne Frauen von weitem betrachtet. Aber ich hatte mich nicht allzu nahe herangewagt. Schließlich wollte ich unbemerkt bleiben.
Aber wohlgemerkt, drei Tage lang befand ich mich schon in diesem Körper. Und die Organe, da ich sie so perfekt konstruiert
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