Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
sie zum Abschied, züchtige, liebevolle Küsse. Sein Wagen wartet schon, um ihn zu diesem versteckten Apartment zu bringen, zu seinen Reliquien. Er denkt, daß weder seine Feinde aus der Verbrecherszene noch die Behörden etwas davon wissen oder es im besten Fall für den Kramladen eines Freundes halten. Aber ich weiß Bescheid. Und ich weiß, was diese Schätze für ihn bedeuten. Und wenn er da hingeht, bin ich ihm auf den Fersen… Keine Zeit mehr, David.«
»Ich war noch nie so total verwirrt«, bekannte er. »Ich würde gerne ›Gott mit dir sagen.«
Ich lachte. Dann beugte ich mich vor und gab ihm schnell einen Kuß auf die Stirn, so schnell, daß keiner, der es bemerkte, sich etwas dabei denken würde, und dann die sofort aufflackernde Furcht unterdrückte ich - verließ ich ihn.
In den Zimmern hoch oben weinte Dora. Sie saß am Fenster, starrte in den Schnee hinaus und weinte. Sie bedauerte jetzt, daß sie das Geschenk nicht angenommen hatte. Wenn nur… Sie preßte ihre Stirn gegen das kalte Glas und betete für ihren Vater.
Ich überquerte die Straße. Ich empfand den Schnee als angenehm, aber schließlich bin ich auch ein Monster. Vom Hinterausgang der Kathedrale aus beobachtete ich, wie mein stattliches Opfer aus dem Hotel kam, mit hochgezogenen Schultern durch das Schneegestöber eilte und sich auf den Rücksitz seines Wagens fallen ließ. Ich hörte, wie er eine Adresse nannte nahe dem… Kramladen, der seine Schätze beherbergte.
Sehr schön, da würde er eine Zeitlang allein bleiben. Solltest du es jetzt nicht tun, Lestat?
Soll der Teufel dich doch holen! Trotze der Hölle, betritt sie furchtlos. Stürz dich hinein.
Kapitel 2
I ch erreichte das Haus auf der Upper East Side vor ihm; ich war ihm schon unzählige Male hierher gefolgt, so daß ich wußte, welchen Weg er üblicherweise nahm. Er hatte die Erdgeschoßwohnung und das obere Stockwerk vermietet, wie auch wir Vampire es oft arrangieren, und auch hier wußten die Mieter wohl kaum, wer ihr Hauswirt war.
Im ersten Stock lagen seine eigenen Räume, verbarrikadiert wie ein Gefängnis und nur durch einen Hintereingang erreichbar.
Er ließ sich niemals vor dem Haus absetzen. Er pflegte in der Madison auszusteigen und auf Schleichwegen zur Hintertür zu gehen. Er wählte immer verschiedene Routen, außerdem gehörten ihm einige Gebäude im Umkreis. Niemand - keiner von denen, die ihm nachspürten - kannte diese Wohnung. Ich war mir nicht einmal sicher, ob seiner Tochter die genaue Lage bekannt war. In all den Monaten, die ich ihn, mir schon im Vorgeschmack die Lippen leckend, beobachtet hatte, war sie weder hiergewesen, noch hatte ich aus ihren Gedanken ein Bild davon aufgefangen.
Doch von seiner Sammlung wußte Dora, sie hatte sich früher auch nicht geweigert, Kunstwerke von ihm anzunehmen. Diese standen jetzt im leeren Konventgebäude in New Orleans. Auf zwei sehr schöne Stücke hatte ich einen Blick werfen können, als ich ihr damals dorthin gefolgt war.
Im Moment jammerte mein Opfer immer noch darüber, daß sie sein letztes Geschenk ausgeschlagen hatte. Es war etwas wirklich Heiliges, wenigstens seiner Ansicht nach.
Für mich war es ein leichtes, in die Wohnung zu gelangen.
Man konnte diese Ansammlung von Zimmern kaum eine Wohnung nennen, obwohl es sogar so etwas wie ein kleines Bad gab, das aber, wie oft bei unbenutzten Räumen, ziemlich schmuddelig wirkte, und die übrigen Zimmer waren eins wie das andere vollgestopft mit Truhen, Statuen, Bronzefiguren - alles eindeutig Plunder, zweifellos Tarnung für unbezahlbare Kostbarkeiten. Es war merkwürdig, hier zu sein, versteckt in diesem kleinen rückwärtigen Raum, denn bisher hatte ich das alles immer nur durch die Fenster betrachtet.
Kalt war es hier; er würde das bald ändern, wenn er kam. Ich konnte ihn spüren, er steckte auf halbem Weg in der Madison in einem Stau fest. Also begann ich ein bißchen herumzustöbern.
Und gleich als erstes erschreckte mich das riesige Marmorstandbild eines Engels. Ich bog um den Türpfosten und rannte fast mitten hinein in das Ding. Früher fand man solche Engel oft in Kirchenportalen, wo sie ein muschelförmiges Becken mit Weihwasser hielten. Das hatte ich auch in Europa und New Orleans gesehen. Dieser hier war gigantisch. Mit seinem grob behauenen Profil starrte er blind in die Schatten. Durch ein Fenster weiter unten im Gang fiel etwas Licht von den schmalen betriebsamen Straßen herein, die üblichen Geräusche des New Yorker Verkehrs drangen
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