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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wieder mit diesem Wirbelwind davontrug? Und gehorchten mir meine Glieder überhaupt noch?
    »Wir machen uns also auf den Weg, Lestat«, wiederholte er.
    Ich hörte, wie der Wind aufkam. Es war derselbe Wirbelsturm, und schon blieben die Mauern zurück. Ich preßte die Hand gegen den Schleier. Memnoch flüsterte mir ins Ohr: »Ruh dich jetzt aus.«
    Seelen umschwirrten uns im Dämmerlicht. Mein Kopf lag an seiner Schulter, ich spürte den Wind an meinen Haaren zerren. Als ich die Augen schloß, sah ich den Sohn Gottes, der einen unendlich weiten, düsteren Ort betrat. Das Licht seiner schlanken, deutlich sichtbaren Gestalt erleuchtete in breiten Strahlen die vielen geplagten menschlichen Umrisse, Geistkörper, Seelen.
    »Scheol«, versuchte ich zu sagen. Doch wir befanden uns in dem Wirbelsturm, und was ich sah, war eine bloße Spiegelung auf dem schwarzen Hintergrund meiner geschlossenen Augen. Wirr leuchtete das Licht auf, seine Strahlen verschmolzen in einer hochauflodernden Flamme, als sei ich mitten darin, und Gesänge hoben an, immer lauter und klarer, und übertönten die wimmernden Seelen ringsum, bis die sich vermischenden Klänge zum Wesen der Vision und zum Wesen des Wirbels wurden. Und sie wurden eins.

Kapitel 19
    I ch lag irgendwo am Boden, im Freien, auf steinigem Untergrund. Den Schleier fühlte ich als Wölbung unter meiner Kleidung, aber ich wagte nicht, danach zu tasten oder gar ihn herauszuziehen und genauer zu untersuchen.
    Memnoch stand in einiger Entfernung, in voller Größe und ganz sein verklärtes Selbst, seine Schwingen hoch hinter sich aufgerichtet. Und ich sah Gott in Seiner Menschengestalt, auferstanden, die Wunden an seinen Knöcheln und Gelenken noch immer rot entzündet. Er war so groß wie Memnoch, beide überragten sie einen Menschen bei weitem. Sein Gewand war sauber und frisch, und sein dunkles Haar, wenn auch immer noch in Blut getränkt, war schön gekämmt. Mir schien, daß Seine Haut stärker leuchtete als vor Seiner Kreuzigung. Ein machtvoll strahlender Glanz ging von Ihm aus, der Memnochs Ausstrahlung blasser erscheinen ließ. Doch stand der eine dem ändern in nichts nach, sondern bei beiden war es im Grunde die gleiche Art Licht.
    Da lag ich nun, schaute zu ihnen auf und lauschte ihrem Streit. Und nur aus den Augenwinkeln - bevor noch ihre Stimmen deutlich zu mir herüberschallten - sah ich, daß wir uns hier auf einem mit Toten übersäten Schlachtfeld befanden. Dies war nicht der vierte Kreuzzug, das erkannte ich. Dieser Kampf hatte zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden. Die Kleidung und die Rüstungen waren von einer Art, die ich eher mit dem dritten Jahrhundert in Verbindung gebracht hätte, obwohl ich mir nicht ganz sicher war. Aber eindeutig war es eine frühere Epoche.
    Die Toten stanken. Die Luft war vom Summen Tausender Insekten erfüllt, und selbst einige bedrohliche Geier hüpften unbeholfen umher und zerrten an dem aufgeblähten, ekligen Fleisch der gefallenen Soldaten; in einiger Entfernung hörte ich das häßliche Gebelfer von Wölfen, die um die Beute stritten.
    »Ja, ich verstehe!« rief Memnoch zornig. Er sprach eine Sprache, die weder Englisch noch Französisch war, dennoch verstand ich jedes Wort. »Das Tor zum Himmel steht nach dem Tode jedem offen, der der Harmonie der Schöpfung und der Güte Gottes gegenüber tiefe Einsicht und völlige Zustimmung zeigt! Aber was ist mit den anderen! Mit den Millionen anderen Menschen!«
    »Und ich frage dich abermals«, sagte der Sohn Gottes, »warum sollte ich mich um die anderen kümmern? Um die ohne Einsicht, ohne Akzeptanz, ohne Wissen um Gott. Warum? Was bedeuten sie mir?«
    »Sie sind Deine Kinder, Deine von Dir geschaffenen Kinder, und nichts anderes! Mit der gleichen Fähigkeit, den Himmel zu erreichen, wenn sie nur einen Weg fänden! Und ihre Anzahl übersteigt milliardenfach jene wenigen, denen die Weisheit, die Unterweisung, die Lebenserfahrung, die Einsicht und die Gabe für den Himmel zuteil wurde. Und das weißt Du! Wie kannst Du es zulassen, daß so viele in den Schatten Scheols verschwinden, zerfallen oder, dem Irdischen verhaftet, zu bösen Geistern werden. Bist Du nicht gekommen, um sie alle zu erretten?«
    »Ich kam, die zu retten, die gerettet werden wollen!« sprach Er. »Ich sage dir noch einmal, es ist ein Kreislauf, der natürliche Kreislauf, und für jede Seele, die nun ungehindert ins Himmlische Licht tritt, müssen tausend andere scheitern. Welcher Nutzen liegt denn sonst in dieser

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