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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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seinen heißen Raubtieratem. Ich wandte den Kopf ab. Er schnüffelte an meinem Ohr, an den Haaren, dann kam ein tiefes Grollen aus seiner Kehle. Ich schloß einfach die Augen und tastete mit der rechten Hand unter meinem Jackett nach dem Schleier.
    Jetzt kratzten seine Zähne in meinem Nacken. Mit einem Ruck drehte ich mich um, sprang auf und warf den Wolf mit einem mächtigen Hieb zurück, so daß er heulend um die eigene Achse wirbelte und sich dann hastig davonmachte. Über die Leichen hinweg rannte er fort.
    Ich atmete tief die Luft ein. Den Himmel über mir erhellte irdisches Tageslicht, und ich sah weiße Wolken, schlichte, weiße Wolken und in der Feme den Horizont. Ich horchte auf das aufgeregte Summen der Insekten, die in Schwärmen um die Leichen herumschwirrten, und sah die unbeholfenen häßlichen Geier, die durch dieses Festmahl tapsten. Von weit her klang menschliches Weinen herüber.
    Doch der Himmel war phantastisch klar und hell. Die Wolken zogen fort, und die Sonne kam mit all ihrer Macht hervor, und ihre Strahlen wärmten mir Hände und Gesicht und fielen zugleich auf die aufgedunsenen, aufplatzenden Leichen um mich herum.
    Ich glaube, ich verlor das Bewußtsein. Das hätte ich mir jedenfalls gewünscht. Ich wollte nur noch auf den Boden zurücksinken, meine Stirn auf die Erde pressen und die Hand unter meine Jacke schieben. Ich wollte spüren, daß der Schleier noch dort war.

Kapitel 20
    D er Garten des Wartens. Die friedvolle, strahlende Stätte vor den Himmelstoren. Der Ort, den eine Seele manchmal wieder verlassen darf, nachdem der Tod sie ereilt hat und ihr dann bedeutet wird, sie könne zurückkehren, ihre Zeit sei noch nicht gekommen.
    In der Feme, unter dem leuchtenden Kobaltblau des Firmaments, hießen die, die schon hier weilten, die gerade erst Verstorbenen willkommen. Immer neue Gruppen trafen ein. Ich sah ihre Umarmungen, hörte ihre Aufschreie. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich die schwindelerregend hohen Mauern des Himmels und seine Tore. Dieses Mal nahm ich auch Engel wahr, sie waren weniger körperlich als die übrigen Wesen, und Chor um Chor zog durch die himmlischen Gefilde. Ungebunden, wie ihnen der Sinn stand, gesellten sie sich zu den Gruppen der Sterblichen, die über die Brücke schritten. Sichtbar oder unsichtbar mischten sich die Engel voller Interesse unter die Seelen, um dann wieder aufwärts zu schweben, wo sie mit dem unerschöpflichen Himmelsblau verschmolzen.
    Die himmlischen Klänge tönten undeutlich und schmerzlich verlockend aus den Mauern herüber. Wenn ich die Augen schloß, konnte ich die saphirnen Farben fast vor mir sehen! Und alle Lieder hatten nur den einen Refrain: »Kommt herein, kommt her, seid mit uns. Das Chaos endet hier. Dies ist das Himmelreich.«
    Doch ich war fern von all dem, in einem kleinen Tal. Inmitten wilder Blumen, kleiner weißer und gelber Wiesenblumen, saß ich am grasbewachsenen Ufer des Stroms, den alle Seelen überqueren müssen, um in den Himmel zu kommen. Doch hier, an dieser Stelle, schien er nur noch irgendein mächtiger, rauschender Fluß zu sein. Oder vielleicht erzählte sein Rauschen auch nur dies - wenn Rauch und Krieg, Unrat und Blut, Schmerz und Gestank enden: Alle Ströme sind machtvoll wie dieser. Wasser singt ein vielstimmiges Lied; auf seinem flinken Weg über glitschigen Fels, durch winzige Rillen und über plötzliche Untiefen mischt es, sich überstürzend, Kanon und Fuge in eins. Und das Gras beugt sein Haupt und schaut.
    Ich lehnte an einem Baumstamm, möglicherweise einem Pfirsichbaum. Wenn denn ein solcher immerdar Blüten und Früchte zugleich trüge, niemals eins ohne das andere, so daß seine Äste niederhingen, nicht in Ehrfurcht vor dieser Fruchtbarkeit, sondern in seinem Reichtum, seinem Duft, seiner Hingabe - der Verknüpfung zweier Lebensphasen zu ewigem Überfluß. Über mir, zwischen sacht wehenden Blütenblättern, in einer unermeßlichen Fülle, bemerkte ich die flüchtigen Bewegungen kleiner Vögel. Und darüber wiederum Engel, ganze Scharen von Engeln, als seien sie aus Luft. Die hellen, klaren, glitzernden Geister waren so schwach sichtbar, als könne der Himmel sie in einem einzigen Atemzug zu sich nehmen.
    Und dann dieses gemauerte Paradies, ein Paradies der Mosaiken. Nur daß keine Kunstform es übertreffen könnte. Frag die, die kamen und wieder gehen durften. Die, deren Herz auf dem Operationstisch stillstand, deren Seele sich zu diesen Gefilden erhob, ehe sie wieder in den dazugehörigen

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