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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Körper zurückgeschickt wurden: Nichts Irdisches kommt dem gleich.
    Kühle, süßduftende Luft umfing mich und entfernte allmählich, nach und nach, die Schichten von Ruß und ekligem Schmutz, die an meiner Kleidung hafteten.
    Ganz plötzlich, als erwachte ich aus einem Alptraum, griff ich unter mein Hemd und zog den Schleier heraus. Ich faltete ihn auseinander. Das Antlitz brannte gleichsam, die dunklen Augen fixierten mich, das Blut war so leuchtend rot wie zuvor, die Haut perfekt schattiert. Das Abbild hatte eine Tiefe, die an eine Holografie denken ließ, und der Ausdruck veränderte sich etwas, als sich das Tuch in der leichten Brise bewegte. Doch war nichts verschmiert oder zerrissen, alles war noch unversehrt.
    Ich merkte, wie ich nach Luft schnappte, und mein Herz raste gefährlich. Hitze strömte mir ins Gesicht. Die braunen Augen blickten beständig und geradeheraus, hatten sich nicht schützend geschlossen in jenem Moment, als sich das weiche, feine Gewebe darüberlegte. Ich drückte den Schleier dicht an mich, dann, einer Panik nahe, faltete ich ihn wieder zusammen und schob ihn unter meine Kleidung, dieses Mal direkt auf meine Haut, unters Hemd. Hektisch mühte ich mich, alle Knöpfe wieder in die richtigen Knopflöcher zu stecken. Das Hemd war in Ordnung, das Jackett war verdreckt, aber noch heil, doch es hatte nicht einen Knopf mehr, selbst die kleinen Knöpfe an den Ärmeln, die doch keinerlei Zweck erfüllten und nur als Zierat gedacht waren, fehlten. Ich schaute auf meine Füße, die Schuhe waren rissig und zerfetzt, und die Nähte hielten kaum noch zusammen. Wie fremd sie doch aussahen in ihrem modisch-schicken Leder; ich hatte in letzter Zeit nichts dergleichen zu Gesicht bekommen.
    Blütenblätter landeten in meinem Haar, ich reckte den Arm hoch und löste damit einen kleinen Schauer aus, weiß und rosa, der auf Hosen und Schuhe niederrieselte.
    »Memnoch!« rief ich suchend. Ich schaute mich um. Wo war er? War ich hier ganz allein? Weit, weit in der Feme bewegte sich die Prozession glücklicher Seelen über die Brücke. Öffneten und schlössen sich die Tore, oder bildete ich mir das nur ein?
    Ich schaute nach links zu einem Olivenhain hinüber und sah dort eine Gestalt, die ich nicht sofort erkannte; doch dann wurde mir klar, daß es Memnoch war in Gestalt des Unauffälligen. Er wirkte konzentriert, sein Ausdruck war hart und unbewegt, als er zu mir herübersah. Plötzlich dehnte er sich aus, ihm wuchsen riesige schwarze Flügel und mit Hufen versehene Bocksbeine, und das engelhafte Antlitz glänzte wie lebender schwarzer Granit. Memnoch, mein Memnoch, es war Memnoch, wie ich ihn kannte, in Gestalt des Dämons.
    Ich schreckte nicht zurück. Ich bedeckte auch nicht die Augen. Ich studierte bewußt die Einzelheiten seines von einem Gewand verhüllten Körpers - wie der Faltenwurf des Stoffs sich um die gräßlichen, fellbedeckten Beine schmiegte, wie die Hufe sich in den Untergrund gruben; doch seine Arme und Hände waren so wunderschön wie zuvor, das Haar war dieselbe fließende Mähne, nur jettschwarz. Als einzigem in diesem Garten fehlte ihm jede Farbe. Er wirkte deutlich sichtbar und stabil in seiner Erscheinung, wenigstens für mich.
    »Meine Beweisführung ist einfach«, begann er. »Findest du es immer noch schwierig, sie zu verstehen?«
    Seine schwarzen Schwingen neigten sich, legten sich wie eine Umarmung dicht um seinen Körper, die unteren Spitzen nach innen gerichtet, damit sie nicht über den Boden streiften. Er kam auf mich zu, in einer scheußlichen, tierhaften Bewegung, die den überwältigend vollkommenen Oberkörper vorwärtstrug - ein in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränktes Wesen, wie gefangen in der menschlichen Vorstellung vom Bösen.
    »Da hast du recht«, sagte er, und langsam, beinahe schmerzerfüllt, ließ er sich nieder. Die Schwingen verschwanden wieder, weil sie ihm eine sitzende Haltung nicht gestattet hätten. Und da saß er nun, der Ziegengott mit wirrem Haar, und funkelte mich an. Doch seine Miene, wie gemeißelt aus Dunkelheit anstelle des schimmernden Fleisches, wirkte weder lieblicher noch weiser, noch grausamer, sondern zeigte den vertrauten gelassenen Ausdruck.
    Und dann fuhr er fort: »Weißt du, was Gott eigentlich tat? Er wiederholte ständig: ›Memnoch, alles im Universum wird benötigt… es wird Gebrauch davon gemacht, verstehst du?‹ Und dann stieg Er herab, um zu leiden, zu sterben, und Er stand auf von den Toten, damit das menschliche

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