Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
kündigte die kommende Sonne an, die schon hinter dem Horizont zu erahnen war auf ihrem unaufhaltsamen Weg, um ihr tödlich gleißendes Licht über uns auszugießen, wenn wir nicht Schutz suchten.
    »Macht auf!« kreischte sie.
    Aus allen Himmelsrichtungen kamen die Menschen herbei, schluchzten, fielen nieder beim Anblick des Tuches.
    »Geht«, sagte Armand, »sucht euch einen Unterschlupf, ehe es zu spät ist. David, los, bring ihn hier weg.«
    »Und du, was willst du tun?« fragte ich drängend.
    »Ich werde Zeugnis ablegen. Ich werde hier stehenbleiben mit weit ausgebreiteten Armen«, rief er, »und wenn die Sonne aufgeht, soll mein Tod das Wunder bestätigen!«
    Die mächtigen Tore waren endlich geöffnet worden. In Schwarz gekleidete Menschen schreckten voller Erstaunen zurück. Der erste Schimmer silbernen Morgenlichts fiel hell auf das Schweißtuch, zusammen mit wärmerem, gelbem elektrischen Licht und auch Kerzenschein, und ein Schwall warmer Luft kam aus dem Kirchenschiff.
    »Das Antlitz Christi!« rief Dora schrill.
    Der Priester sank auf die Knie. Der ältere Mann in Schwarz, Klosterbruder, Priester oder was er war, starrte offenen Mundes auf das Tuch. »Lieber Gott, lieber Gott«, sagte er und bekreuzigte sich, »daß ich das noch erleben darf, Herr …es ist das Schweißtuch der Veronika!«
    Menschen eilten an uns vorbei, stolpernd, drängelnd, um Dora in die Kirche zu folgen. Ihre Schritte hallten in dem riesigen Mittelschiff wider.
    »Uns bleibt keine Zeit mehr«, sagte David an meinem Ohr. Er hatte mich von den Füßen gehoben, stark wie Memnoch, nur daß da nicht dieser Wirbelsturm war, sondern allein der anbrechende Wintermorgen und der rieselnde Schnee und das immer lauter werdende Geschrei und Gekreische von Männern und Frauen, die in langem Strom zur Kirche hindrängten, und dann begannen oben in den Kirchtürmen die Glocken zu läuten.
    »Mach zu. Lestat, komm mit!«
    Wir rannten gemeinsam fort, schon vom Licht geblendet, und hinter mir hörte ich Armands Stimme, die sich über dem Lärm der Menge erhob. »Seid meine Zeugen, dieser Sünder stirbt für Ihn!«
    Der Geruch von Feuer kam zugleich mit einer wilden Explosion! Ich sah den glühenden Widerschein auf den gläsernen Wänden der Wolkenkratzer, während wir flohen. Ich hörte die schrillen Schreie.
    »Armand!« heulte ich auf. David zerrte mich weiter, ein paar eiserne Stufen hinab, die hallten und dröhnten wie die Glocken von der Kathedrale. Mir schwindelte, ich gab David nach. Gab meinen Willen auf, voller Kummer, aus dem ich nur herausbrüllen konnte:
    »Armand, Armand!«
    Nach und nach erkannte ich in dem Dunkel Davids Umrisse. Wir saßen in einem feuchten, eiskalten Loch, ein Keller unter einem Keller, unter der hohen, windgepeitschten, pfeifenden Höhle eines verlassenen Gebäudes. David grub ein Loch in die aufgerissene Erde.
    »Los, hilf mir«, rief er. »Ich werde schon ganz gefühllos, das Licht kommt, die Sonne ist aufgegangen, sie werden uns finden.«
    »Nein, werden sie schon nicht.«
    Ich wühlte und grub unser Grab, zog ihn tiefer und tiefer mit mir und schüttete die weiche Erde über uns zu. Nicht einmal die Geräusche der Stadt durchdrangen diese Dunkelheit. Nicht einmal die Kirchenglocken.
    Hatte sich der Tunnel für Armand geöffnet? War seine Seele aufgestiegen? Oder durchschritt er gerade die Tore der Hölle?
    »Armand«, flüsterte ich. Und als ich die Augen schloß, sah ich Memnochs leiderfülltes Gesicht vor mir: »Lestat, hilf mir!«
    Mit dem letzten bißchen Gefühl in meiner Hand tastete ich nach dem Tuch. Aber nein, das Tuch war weg. Ich hatte Dora das Schweißtuch gegeben! Dora hatte es, und sie hatte es dort oben in die Kirche gebracht.
    Du würdest doch nie mein Gegner sein wollen!

Kapitel 24
    W ir beide saßen auf der niedrigen Mauer an der Fifth Avenue, Ecke Central Park. Drei Nächte hatten wir schon hier verbracht. Wir hatten beobachtet.
    Denn so weit das Auge reichte, zog sich die Schlange hin, fünf bis sechs Leute nebeneinander, Männer, Frauen, Kinder, die sangen, während sie mit den Füßen stampften, um sich warm zu halten. Dazwischen eilten Nonnen und Priester hin und her und teilten heiße Schokolade und Tee an die Frierenden aus. In gleichmäßigen Abständen waren in großen Tonnen Feuer entzündet worden. So weit das Auge reichte. Und weiter noch, quer durch die City, entlang der glitzernden Auslagen von Bergdorf Goodman und Henri Bendel, an den Kürschnern, den Juwelieren, den

Weitere Kostenlose Bücher