Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
verschenkt!«
»Der Schleier beweist gar nichts«, sagte ich, »was immer man auch darauf sieht, ist bedeutungslos! Wer solche Sinnestäuschungen erzeugen kann, kann auch ein Bildnis auf ein Tuch zaubern! Das ist kein Beweis für Lüge oder Wahrheit, nicht für Betrug oder Hexerei oder göttliche Erscheinungen.«
»Als du in der Hölle warst«, fragte sie ganz lieb, ganz sanft, und ihr bleiches Gesicht leuchtete im warmen Licht der Lampe, »hast du Roger da erzählt, daß du Veronikas Schleier hast?«
»Nein, Memnoch hat es verhindert. Und ich sah Roger auch höchstens für eine Minute, kaum sah ich ihn, war er auch schon wieder verschwunden. Aber ich weiß, er wird hinauf in den Himmel kommen, bestimmt, denn er ist clever, er hat sich sicher schon zurechtgelegt, wie es funktioniert. Und Terry wird mit ihm gehen. Sie werden in Gottes Armen sein, es sei denn, Gott ist ein billiger Zauberkünstler und alles war nur eine riesige Lüge. Aber wozu sollte das gut gewesen sein? Welchen Zweck hätte das gehabt?«
»Du glaubst nicht an das, worum Memnoch dich bat?« fragte Armand. Erst jetzt bemerkte ich, wie erschüttert er war. Er wollte, daß es die Wahrheit war! Wie sehr er einem Knaben glich, der er gewesen sein mußte, als er zum Vampir wurde, jung und voller irdischer Anmut.
»Ja doch, das schon!« sagte ich. »Ich habe ihm geglaubt, aber das Ganze könnte schließlich ein Betrug sein, siehst du das nicht?«
»Hast du nicht gespürt, daß es stimmte«, beharrte Armand, »daß er dich brauchte?«
»Was? Sind wir wieder da angekommen, wo wir uns darüber stritten, ob wir Gott dienen, wenn wir Satan dienen? Du und Louis, die im Theatre des Vampires darüber diskutierten, ob wir Kinder Gottes sind, wenn wir Kinder Satans sind?«
»Ja!« sagte Armand. »Und, hast du ihm geglaubt?«
»Ja. Nein. Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht!« schrie ich. »Ich hasse Gott mehr, als ich ihn je gehaßt habe. Beide, Memnoch und Gott, erregen gleichermaßen meinen Zorn, verdammt seien sie!«
»Und Christus?« fragte Dora, den Tränen nahe. »Taten wir Ihm leid?«
»Ja, auf Seine Art. Ja. Vielleicht. Mag sein. Wer weiß? Aber Er nahm seinen Leidensweg nicht einfach als Mensch auf sich, wie Memnoch es von Ihm erbeten hatte. Er trug Sein Kreuz als der im Fleische erstandene Gott. Ich sage euch, deren Spielregeln sind nicht unsere Regeln. Wir haben bessere Regeln aufgestellt. Wir sind nicht in Gottes Hand, wir sind in der Hand von ein paar Verrückten!«
Sie brach in leises, bekümmertes Jammern aus. »Warum können wir es denn nie, niemals wissen?« weinte sie.
»Ich weiß nicht!« erklärte ich. »Ich weiß, sie waren da, sie sind mir erschienen, sie zeigten sich mir. Aber ich bin immer noch im Ungewissen!«
David schaute düster, die Brauen gerunzelt, wie Memnoch sie runzeln konnte, in tiefstes Nachdenken versunken. Dann fragte er:
»Und wenn das Ganze eine Reihe von Trugbildern und Tricks war, Vorstellungen aus deinem tiefsten Herzen, die dir aus deiner Seele vor Augen gezerrt wurden, was war dann der Zweck? Wenn das nicht ein ganz geradeheraus und ehrlich gemeinter Vorschlag war, sein Stellvertreter, sein Prinz zu werden, was hätte er dann für ein Motiv haben können?«
»Was denkst du denn?« fragte ich ihn. »Sie haben mein Auge! Ich sage dir, nicht ein Wort von mir ist gelogen: Sie haben mein verdammtes Auge, verflucht noch mal. Ich weiß nicht, was das alles sollte, wenn es nicht wahr ist, absolut wahr bis zur letzten Silbe.«
»Daß du glaubst, daß es wahr ist, wissen wir«, sagte Armand. »Ja, du bist ganz und gar davon überzeugt. Du hast es mit deinen eigenen Augen gesehen. Ich glaube auch, daß es wahr ist. Schon immer während meiner langen Wanderung durch dieses Tal des Todes habe ich daran geglaubt!«
»Sei doch nicht solch ein gewöhnlicher Trottel!« schimpfte ich bitter. Doch ich sah das Feuer in Armands Gesicht, ich sah sehr wohl die Ekstase und den Gram in seinen Augen. Ich sah, daß der Glaube, die Überzeugung ihn förmlich elektrisierte.
»Deine Kleider«, sprach David nachdenklich, ruhig, »in dem Zimmer drüben. Du hast sie da aufgestapelt, und diese Beweisstücke könnten ein paar wissenschaftliche Erkenntnisse erbringen.«
»Hör auf, wie ein Gelehrter zu denken. Dies sind Wesen, die ein Spiel spielen, das nur sie selbst verstehen. Es sollte für sie nicht schwer sein, ein paar Kiefernnadeln und ein bißchen Schmutz an meine Kleider zu heften. Aber ja, du hast recht, ich habe diese Überreste
Weitere Kostenlose Bücher