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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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mit der Hand das heiße Metall umfaßte, drehte er ihn so, daß der Lichtstrahl den Flügel, den ich am besten sehen konnte, voll ausleuchtete, und auch ich wurde der Perfektion gewahr, die ihm aufgefallen war, dieser barocken Liebe zum Detail. Nein, so etwas sammelte er nicht. Sein Geschmack ging mehr zum Übersteigerten, zum Grotesken, und dieses Ding war nicht absichtlich grotesk. Gott, gräßlich war es, mit diesem wilden Haarwust, diesem düster-drohenden Gesichtsausdruck, wie William Blakes Werke sie hatten, und diesen riesigen Augen, die ihn haßerfüllt anzustarren schienen.
    »Blake, genau, das ist es!« sagte er plötzlich und drehte sich um. »Blake, das verdammte Ding sieht aus wie eine von Blakes Zeichnungen.«
    Ich bemerkte, daß er in meine Richtung starrte. Diesen Gedanken hatte ich ihm übermittelt, unbedacht, ja, aber doch mit Absicht. Blitzartig stellte sich die Verbindung zwischen uns her. Er entdeckte mich. Sah vielleicht die das Licht widerspiegelnden Brillengläser oder meine Haare.
    Sehr langsam, mit herabhängenden Armen, trat ich vor. Etwas so Vulgäres wie den Griff zur Pistole wollte ich nicht. Aber daran dachte er auch gar nicht. Er sah mich nur an, wohl geblendet von den grellen Halogenstrahlern direkt neben ihm; das Licht warf den Schatten des Engelsflügels an die Decke. Ich kam näher. Er sagte kein Wort. Er hatte Angst. Oder lassen Sie es mich so ausdrücken: Er war eher beunruhigt. Nein, mehr als das. Er spürte, dies könnte seine letzte Begegnung sein. Jemand hatte ihn total überrumpelt! Und nun war es zu spät, die Pistole zu ziehen, zu spät im wahrsten Sinn des Wortes, und doch erstarrte er nicht vor Angst. Verdammt, als ob er wüßte, daß ich kein Mensch bin!
    Ich glitt auf ihn zu und umfing sein Gesicht mit beiden Händen. Natürlich brach ihm der Schweiß aus, und er zitterte am ganzen Körper, und doch griff er nach meiner Brille und riß sie mir von den Augen, so daß sie zu Boden fiel.
    »Oh, endlich«, flüsterte ich, »es ist einfach großartig, dich so nah bei mir zu haben.«
    Er konnte nicht sprechen. Von keinem Sterblichen konnte man etwas anderes erwarten, als daß er betete, wenn ich ihn in diesem Griff hielt, aber er hatte keine Gebete! Er starrte mir direkt in die Augen und schätzte mich langsam, sorgfältig ab, er wagte nicht, sich zu bewegen, sein Gesicht reglos zwischen meinen eisigkalten Händen, und da dämmerte es ihm: kein Mensch.
    Seine Reaktion war absolut erstaunlich! Natürlich war diese Erkenntnis immer wieder einmal einem meiner Opfer gekommen, und Gebete, Wahnsinn, verzweifelte heidnische Flüche, all das kannte ich als Reaktion. Sogar im alten Europa, wo sie noch an Nosferatu glauben, heulten sie Gebete, bevor sie meine Zähne zu spüren bekamen.
    Aber dies hier, was war das? Dieser Versuch, mich zu fixieren, dieser lächerliche Mut eines Verbrechers!
    »Also willst du sterben, wie du gelebt hast?« hauchte ich.
    Ein Gedanke durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Dora. Er sträubte sich wütend, zerrte an meinen Händen - wie Stein, stellte er fest -, wand sich, versuchte loszukommen, doch ich hielt ihn erbarmungslos fest. Er fauchte und spuckte mich an. Unerklärliches Mitleid überkam mich. Quäle ihn nicht so. Sein Wissen, sein Verständnis ist zu groß. Meine Güte, Lestat, du hast ihn monatelang beobachtet, das hier mußt du nicht in die Länge ziehen. Andererseits, wann wirst du wieder eine solche Beute finden!
    Nun denn, mein Hunger überwältigte meine Urteilskraft. Ich preßte meine Stirn gegen seinen Hals, während meine Hand zu seinem Hinterkopf glitt, mein Haar streifte sein Gesicht, ich hörte ihn scharf den Atem einziehen, und dann trank ich.
    Ich besaß ihn. Nahm ihn auf in einem großen Strom, ihn und den Kapitän mitsamt seinen Zimmern an der Straßenfront, an der die Straßenbahn vorbeifährt, als er ihm sagt: »Verlangen Sie das nie wieder, daß ich das anfasse oder ansehe, oder Sie haben mich das letzte Mal gesehen.« Und der Kapitän schwört: »Nie wieder.« Der Kapitän, wie er ihn ins Kino einlädt und zum Essen und wie er ihn auf einen Flug nach Atlanta mitnimmt und wie er schwört: »Ich mach’s nie wieder. Laß mich nur bei dir sein, Junge, ich will dich nur um mich haben. Ich tu dir nichts, ich schwöre.« Und seine Mutter, betrunken im Hausflur, die ihre Haare bürstet: »Ich weiß, was ihr macht, du und der Alte, ich weiß es genau. Hat er dir nicht diese neuen Kleider gekauft? Meinst du, ich wüßte das

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