Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
gewesen sein. Mein Opfer hatte das getan, ein letztes Bild hatte er mir übermittelt, es mir in seinem Todeskampf entgegengeschleudert Rache ist süß! Er hatte dem Standbild Leben eingehaucht, diesem riesigen, düsteren, geflügelten Ding, dem bocksfüßigen…
»Genau«, sagte ich und wischte mir über die Lippen. Ich lag in schmutzigem Schnee; einige Sterbliche waren in der Nähe. »Stör uns nicht.« Hatte ich sowieso nicht vor. Wieder wischte ich mir über die Lippen. »Ja, Rache«, murmelte ich vor mich hin, »weil er all die Dinge dort so sehr liebte; deshalb schleuderte er mir das entgegen. Er wußte alles. Er wußte, was ich bin. Er wußte, wie…«
Und außerdem, das Wesen, das mich verfolgte, war nie so ruhig, so gedankenversunken gewesen. Es war mir immer vorgekommen, als wenn es sich ausdehnte, aufstiege wie dichter, stinkender Rauch, und dann diese Stimmen… Nur eine Statue hatte dort gestanden.
Ich rappelte mich auf, wütend über mich selbst, noch wütender, weil ich geflohen war, weil mir der letzte Zauber, den der Tod mit sich bringt, entgangen war. Ich war so wütend, daß ich am liebsten zurückgegangen wäre, um nicht nur diesen toten Körper zu mißhandeln, sondern auch dieses Standbild, das sich zweifellos in Granit zurückverwandelt hatte in dem Moment, in dem der letzte Rest Leben aus der sterbenden Hülle meines Opfers gewichen war. Als habe Roger aus dem blutigen Klumpen, zu dem ich ihn gemacht hatte, dieses Wesen heraufbeschworen.
Und Dora wird erfahren, wie er zugerichtet ist. Schulterblätter, Arme, das Genick gebrochen.
In der Fifth Avenue mußte ich mich gegen den Wind stemmen. Die Hände in den Taschen des wollenen Blazers, der viel zu dünn war, um damit dem Schneegestöber zu trotzen, irrte ich ziellos zu Fuß weiter.
»Na gut, verdammt noch mal, du hast also gewußt, was ich bin, und du hast es geschafft, daß ich dieses Ding einen Moment lang für lebendig hielt.«
Stocksteif blieb ich stehen, starrte über den Straßenverkehr hinweg in das schneebedeckte Dunkel des Central Park.
»Wenn es da wirklich einen Zusammenhang gibt, dann komm und hol mich.« Ich meinte damit jetzt nicht ihn, auch nicht die Statue, sondern meinen Verfolger. Ich weigerte mich einfach, mich zu fürchten. Ich war nur total außer mir.
Und wo steckte David überhaupt? Auf der Jagd? Die Jagd… das war seine Leidenschaft gewesen. Als er noch ein Sterblicher gewesen war, hatte er in den Dschungeln Indiens gejagt; und ich hatte ihn zum Jäger seiner Brüder gemacht, in Ewigkeit.
Ich traf eine Entscheidung.
Ich würde sofort zurück in die Wohnung gehen, diese verdammte Statue untersuchen, mich überzeugen, daß sie absolut leblos war, und dann sollte ich besser etwas für Dora tun - nämlich die Leiche ihres Vaters beiseite schaffen.
Nur wenige Augenblicke später traf ich wieder dort ein, ging die enge, pechschwarze Hintertreppe hinauf und hinein in die Wohnung. Ich hatte jetzt die Nase voll von meiner Ängstlichkeit, ich war einfach nur sauwütend, gedemütigt und erschüttert, aber gleichzeitig merkwürdig erregt - wie immer, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet.
Durchdringend empfing mich der Geruch von Tod, von gerade vergossenem Blut. Kein Hinweis auf irgend etwas anderes. Ich betrat einen kleinen Raum - die ehemalige Küche, die immer noch einige Utensilien des einstigen Haushalts enthielt aus der Zeit, als mein Opfer hier mit seinem geliebten Freund gewohnt hatte. Ja, da unter der Spüle, wo Sterbliche diese Dinge immer verwahren, lag, was ich suchte, eine Schachtel mit grünen Müllsäcken aus Plastik, geradezu perfekt geeignet für seine Überteste.
Schlagartig fiel mir ein, daß er die Leiche seiner Ehefrau, Terry, in einen solchen Sack gestopft hatte, ich hatte es gesehen, gerochen, als ich mich an ihm gütlich tat. Oh, zur Hölle damit. Die Idee hatte ich also von ihm.
In der Küche gab es noch einiges an Besteck, allerdings war nichts dabei, um die Sache kunstvoll und mit chirurgischem Geschick anzugehen. Ich nahm das größte Messer, das mit der Karbonstahlklinge, vermied bewußt jede Verzögerung und ging in den Wohnraum; dort sah ich mich um und betrachtete dann dieses mammutgroße Standbild.
Die Halogenleuchten waren noch an, Lichtfinger im schattengefüllten Wirrwarr.
Eine Statue; ein bocksbeiniger Engel.
Lestat, du Idiot.
Ich näherte mich ihr, stellte mich dicht davor und faßte kalten Blicks ihre Details ins Auge. Vielleicht doch nicht 17. Jahrhundert, eher aus der
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