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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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eine Art weltlicher Heiliger. Aber zurück zu den Büchern.«
    »Ja, erzähl.«
    »Ich hatte also diese frommen Bücher auf dem Tisch erspäht. Ich nahm eins aus dem kleinen Stoffbeutel, mit dem es umhüllt war, und war sofort verzaubert von den winzigen Illustrationen. Auf der Stelle untersuchte ich alle Bücher, nahm mir aber vor, sie später noch einmal gründlich zu betrachten. Natürlich konnte ich das Latein in dieser Form nicht lesen.«
    »Zu dicht gedrängt und verschnörkelt geschrieben.«
    »Meine Güte, du kennst dich aus.«
    »Vielleicht bereiten wir uns ja gegenseitig ein paar Überraschungen. Erzähl weiter.«
    »Wochenlang schwänzte ich die Schule, um alle Bücher durchzugehen. Die Schule war so langweilig. Ich war den anderen im Stoff voraus und wollte etwas Aufregenderes machen, du kannst dir denken, was, zum Beispiel ein schweres Verbrechen begehen.«
    »Aha, also ein Heiliger oder ein Krimineller.«
    »Ja, das klingt wohl widersprüchlich. Aber du hast es genau erfaßt.« , »Dachte ich mir.«
    »Der Kapitän erklärte mir vieles über die Bücher. Zum Beispiel war das Buch in dem Beutel dazu gedacht, es am Gürtel mit sich herumzutragen. Und ein anderes war ein Gebetbuch, ein weiteres, das dickste, ein Stundenbuch, und dann gab es natürlich noch eine lateinische Bibel. Er ging ganz lässig damit um. Ich weiß nicht, warum, aber diese Bücher zogen mich unglaublich an. Ich gierte schon immer nach Dingen, die Licht und Glanz verbreiten und wertvoll erscheinen, und so etwas lag nun hier gehäuft vor mir, in einer so einzigartigen Ausführung, wie ich es noch nie zu Gesicht bekommen hatte.«
    Ich lächelte. »Ich verstehe dich nur zu gut.«
    »Seiten um Seiten, gefüllt mit Gold und Rot und mit winzigen wunderschönen Figürchen. Ich nahm ein Vergrößerungsglas und begann, die Abbildungen ernstlich zu untersuchen. Ich ging in die Bibliothek und suchte mir alles an Material zusammen, das ich über mittelalterliche Bücher bekommen konnte. Wie die Benediktinermönche sie hergestellt hatten. Weißt du übrigens, daß Dora ein Kloster besitzt? Der Grundriß von St. Gallen ist nicht direkt die Vorlage dafür, es ist sozusagen das 19.-Jahrhundert-Gegenstück dazu.«
    »Ja, das kenne ich, ich habe sie dort schon gesehen. Sie ist recht mutig, macht sich nichts aus der Einsamkeit und der Dunkelheit dort.«
    »Sie glaubt in einem Maß an die göttliche Vorsehung, daß es schon an Idiotie grenzt. Sie muß noch an sich arbeiten, aber das gelingt nur, wenn diese Sache sie nicht zu sehr verletzt. Ich brauche noch einen Drink. Ich weiß, ich rede zu schnell, aber ich kann nicht anders.«
    Ich winkte dem Barkeeper wegen des Bourbon. »Erzähl weiter, was geschah dann? Wer ist Wynken de Wilde?«
    »Wynken de Wilde war der Autor von zweien dieser kostbaren Bücher, die der Kapitän besaß. Ich habe das aber erst später herausgefunden. Nachdem ich mir die Illustrationen vorgenommen hatte, wurde mir nach und nach klar, daß zwei Bücher von dem gleichen Künstler stammten; und obwohl der Kapitän steif und fest behauptete, daß es keine Signatur gab, fand ich in den Büchern an verschiedenen Stellen den Namen eingefügt. Nun sagte ich ja schon, daß der Kapitän mit solchen Sachen handelte, über diesen Laden in der Royal Street.«
    Ich nickte.
    »Na ja, ich hatte schreckliche Angst, daß er irgendwann auch diese Bücher verkaufen würde. Die waren anders als die anderen. Erstens waren die Illustrationen ausgesprochen detailliert. Auf manchen Seiten war zum Beispiel ein Weinstock abgebildet, aus dessen Blüten Vögelchen tranken, und wiederum mit den Blüten verschlungen waren Menschen, die wie in einer Laube saßen. Und die Verse in den Büchern waren Psalmen. Auf den ersten Blick hielt ich sie für biblische Psalmen. Aber nein, diese Psalmen stammten nicht aus der Bibel; das stellte ich fest, als ich sie mit lateinischen Schriften aus der gleichen Periode verglich, die ich mir in der Bibliothek besorgt hatte. Diese Bücher waren eine ganz eigenständige Arbeit. Und dann die Illustrationen, die nicht nur winzige Tiere und Bäume und Früchte darstellten, sondern auch nackte Menschen, die sich allen möglichen Beschäftigungen hingaben.«
    »Bosch.«
    »Genau, wie Boschs ›Garten der Lüste‹, wie dieses üppige, sinnenfreudige Paradies. Natürlich hatte ich damals noch keine Bilder von Bosch gesehen. Aber genau so etwas sah ich hier in diesen Büchern, kleine menschliche Figuren, die sich unter reich mit

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