Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel
auch seine gewesen war, in jedem Buchstaben seiner Philosophie war die Liebe zum Fleisch gegenwärtig! Du mußt dir klarmachen, daß ich keinerlei Glauben besaß, nie. Für mich lag die katholische Kirche im Sterben. Und den Protestantismus hielt ich für einen Witz. Erst Jahre später habe ich begriffen, daß der protestantische Weg vom Grundsatz her mystisch ist, daß er auf das tatsächliche Einssein mit Gott abzielt, so wie Meister Eckhart es hochgelobt hätte und worüber Wynken geschrieben hatte.«
»Du bist den Protestanten gegenüber großzügig. Schrieb denn Wynken wirklich über das Einssein mit Gott?«
»Ja, erreichbar durch die Vereinigung mit dem Weib! Er drückte es vorsichtig, aber deutlich aus: ›Nicht in den Lehren der Menschen, sondern in deinen Armen erfuhr ich die wahrhaftige Dreieinigkeit/ So etwa. Ach, ich war mir sicher, das war der wahre, der neue Weg. Aber zu der Zeit hatte ich Protestantismus nur als materialistisch und steril erlebt und in Form von baptistischen Touristen, die sich in der Bourbon Street sinnlos betranken, weil sie es in ihrer Heimatstadt nicht wagen konnten.«
»Wann hast du deine Meinung geändert?« fragte ich.
»Ich verallgemeinere jetzt. Ich meinte eigentlich, daß in der westlichen Welt zur Zeit keine Religion eine Chance hat. Eigentlich sieht Dora das auch so, aber dazu komme ich noch.«
»Habt ihr alle Bücher übersetzen können?«
»Ja, gerade noch, ehe Father Kevin versetzt wurde. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Zwar schrieb er mir noch einmal, aber da war ich schon von zu Hause fortgerannt.
Ich war nach San Francisco gegangen. Ohne den Segen meiner Mutter. Ich hatte den Trailways Bus genommen, nur weil er ein paar Cent billiger war als der Greyhound. Nicht mal ganz fünfundsiebzig Dollar hatte ich in der Tasche. Alles, was ich je vom Kapitän bekommen hatte, hatte ich verplempert. Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sich seine Verwandten aus Jackson auf seine Zimmer gestürzt haben nach seinem Tod. Sie nahmen aber auch alles mit. Ich hatte immer gedacht, er würde mir etwas hinterlassen. Aber es war mir egal. Sein größtes Geschenk waren die Bücher gewesen; und all die vielen Essen, die er mir im Hotel Monteleone spendiert hat. Ich bin so gerne mit ihm dahin gegangen!
Wo war ich? Ach ja, ich kaufte also das Ticket nach Kalifornien, danach reichte mein Geld gerade noch für ein Brötchen und einen Kaffee an jeder Station. Und dann kam etwas Merkwürdiges. Sozusagen die unabwendbare Entscheidung. Nämlich als wir durch einen Ort in Texas fuhren, stellte ich fest, daß mein Geld nicht mehr für die Rückkehr reichen würde - selbst wenn ich es gewollt hätte. Das war mitten in der Nacht, ich glaube, in El Paso. Wie auch immer, mir wurde klar, ich konnte nicht mehr zurück. So stürzte ich mich also kopfüber ins Abenteuer; auf den Lehren von Wynken de Wilde aufbauend, wollte ich eine Sekte gründen, die die Liebe pries und für sich in Anspruch nahm, daß sexuelle Vereinigung Vereinigung mit Gott war, und ich würde meinen Jungem das alles aus seinen Büchern erklären. Das war mein Traum, obwohl, wenn ich ehrlich bin, Gott selbst mich absolut kaltließ.
Schon nach wenigen Monaten hatte ich jedoch gemerkt, daß mein Glaubensbekenntnis nicht gerade einzigartig war. Die Stadt wimmelte von Hippies, die an die freie Liebe glaubten und an ihr Recht zu betteln. Und ich hielt zwar vor meinen Freunden regelrechte Vorlesungen über Wynken ab, seine Bücher hoch erhoben in den Händen und seine Verse auf den Lippen - die waren natürlich nicht allzu anstößig -«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Aber hauptsächlich betätigte ich mich als so eine Art Manager und Geschäftsführer von drei Rockmusikern, die zwar berühmt werden wollten, aber ständig so gedopt waren, daß sie entweder ihre Auftritte vergaßen oder hinterher versäumten, die Gage zu kassieren. Einer von ihnen - wir nannten ihn Blue - konnte wirklich gut singen, er hatte einen klaren Tenor und einen ziemlichen Stimmumfang. Irgendwie hatte die Band schon einen besonderen Sound. Dachten wir wenigstens.
Father Kevins Brief erreichte mich, als ich im Spreckles Mansion in Buena Vista Park wohnte, sagt dir das etwas?«
»Ja, klar, das ist ein Hotel.«
»Ja, jetzt, aber damals war es noch in privater Hand; in der obersten Etage befand sich ein Ballsaal, mit einem Bad und einer kleinen Küche dabei… das Haus war noch nicht renoviert worden. ›Zimmer mit Frühstück‹ gab es noch nicht.
Weitere Kostenlose Bücher