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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ganzen Körper? »Was meinen Sie mit >Warum du    Sie kam noch näher und blickte auf mich herab. Sie sah wohl nur einen blonden Haarschopf und das Gleißen des Lichts in den Brillengläsern und daß ich jung zu sein schien.
    Ich betrachtete ihre gebogenen Wimpern, das kleine feste Kinn und die Art, wie ihre Schultern unter dem geblümten Kleid abrupt abfielen, so daß sie kaum Schultern zu haben schien - der in der Länge verzerrte Aufriß eines Mädchens, einer liliengleichen Frau, wie aus einem Traum. Die Taille unter dem losen, weich fallenden Kleid war so schmal, man würde sie kaum fühlen, wenn man den Arm um sie legte.
    Ihre Gegenwart erzeugte ein beinahe frostiges Gefühl; kalt oder bösartig schien sie nicht, jedoch irgendwie erschreckend! War das Heiligkeit? Ich fragte mich, ob ich je einer echten Heiligen gegenübergestanden hatte. Wobei ich den Begriff auf meine Weise definierte.
    »Warum bist du gekommen, um es mir zu sagen?« fragte sie sanft.
    »Dir was zu sagen. Liebste?«
    »Roger. Daß Roger tot ist.« Ganz leicht hob sie die Augenbrauen. »Deswegen bist du gekommen, nicht wahr? Ich wußte es, als ich dich sah. Ich wußte, daß Roger tot ist. Aber wieso bist du gekommen?«
    Sie ließ sich dicht vor mir auf die Knie nieder.
    Ich atmete tief durch. Also hatte sie es in meinen Gedanken gelesen! Mein großes Geheimnis! Mein großartiger Entschluß! Mit ihr reden? Sie zur Vernunft bringen? Ihr nachschleichen? Sie täuschen? Ihr Ratschläge geben? Und dann hatte ich ihr mittels meiner Gedanken diese tolle Nachricht sozusagen um die Ohren geschlagen: Hey, Schatz, Roger ist tot!
    Sie rückte nah an mich heran, viel zu nah. Das sollte sie besser nicht. Gleich würde sie schreien. Sie hob die Taschenlampe.
    »Mach die Lampe nicht an«, sagte ich.
    »Warum willst du das nicht? Ich will dich nicht blenden, ehrlich, ich will dich nur sehen können.«
    »Nein.«
    »Hör mal, du machst mir keine angst, falls du das meinst«, sagte sie schlicht und undramatisch, wobei ihre Gedanken trotz der Worte wild herumwirbelten, ihr Geist sog jede Kleinigkeit, die er erhaschen konnte, in sich auf.
    »Und warum nicht?«
    »Gott würde nicht zulassen, daß ein Wesen wie du mich verletzt. Ich weiß das. Was du bist, weiß ich nicht - ein Teufel oder ein böser Geist oder vielleicht ein guter Geist? Woher soll ich das wissen? Vielleicht verschwindest du ja, wenn ich das Kreuz schlage, obwohl ich das nicht annehme. Ich möchte vielmehr wissen, warum du vor mir Angst hast. Mit Tugendhaftigkeit hat das ja wohl nichts zu tun, oder?«
    »Moment mal! Du willst sagen, du weißt, daß ich kein Mensch bin?«
    »Ja. Das kann ich sehen und fühlen! Ich habe Wesen wie dich schon vorher gesehen, wenn auch immer nur für einen Augenblick, im Vorbeigehen, im Menschengewühl der Großstädte. Ich werde jetzt nicht behaupten, daß du mir leid tust, daß wäre dumm, aber Angst habe ich auch nicht vor dir. Du bist ein irdisches Wesen, nicht wahr?«
    »Aber sicher«, antwortete ich, »und bis auf weiteres hoffe ich das auch zu bleiben. Hör mal, mit der Nachricht vom Tod deines Vaters wollte ich dir keinen Schock versetzen. Ich habe ihn geliebt.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Und… er hat dich sehr geliebt. Er wollte, daß ich dir ein paar Sachen erkläre. Aber hauptsächlich wollte er, daß ich auf dich achtgebe.«
    »Du machst nicht den Eindruck, als ob du dazu fähig wärest. Wie ein verschreckter Elf siehst du aus. Du solltest dich sehen!«
    »Nicht du bist es, die mir Angst einjagt, Dora«, sagte ich mit plötzlich aufflammender Ungeduld. »Ich weiß nur im Moment nicht so recht, was noch geschehen wird. Ich bin irdisch, erdgebunden, ja, das ist wahr. Und ich… ich habe deinen Vater getötet, habe ihm das Leben genommen, ich war das. Und anschließend hat er mit mir geredet. Er sagte: >Paß auf Dora auf.< Er ist zu mir gekommen, um mir das zu sagen. Das ist es! Nicht du erschreckst mich, sondern eher die Situation. In einer solchen Lage war ich noch nie, solche Fragen haben sich mir noch nie gestellt.«
    »Ach so!« Sie war verblüfft. Ihr blasses Gesicht glänzte, als wäre es naß von Schweiß, und ihr Herz raste. Sie senkte den Kopf. Ich konnte ihre Gedanken nicht lesen, sie hatte sich absolut verschlossen, aber daß sie tiefen Kummer fühlte, konnte jeder sehen, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Es war kaum auszuhalten.
    »Oh, Gott, wäre ich doch in der Hölle«, murmelte ich, »ich hätte ihn nicht töten dürfen… nicht

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