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Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel

Titel: Chronik der Vampire 05 - Memnoch der Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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reichte ihr mein seidenes Taschentuch. Sie nahm es, aber als sie es ansah, sagte sie: »Aber das ist doch viel zu gut.«
    »Nein, nein, nimm es ruhig. Es macht nichts. Ich habe Hunderte davon.«
    Schweigend betrachtete sie mich, dann wischte sie sich die Tränen ab. Ihr Herz klopfte nicht mehr so stark, doch durch ihren Gefühlsausbruch hatte sich der Duft, den sie verströmte, noch verstärkt. Ihre Menstruation. Säuberlich aufgefangen von einer weißen Baumwollbinde zwischen ihren Beinen. Ich konnte meine Gedanken nicht davon lösen, denn der Monatsfluß war sehr heftig, so daß ich den Geruch als überwältigend köstlich empfand. Die Vorstellung, dieses Blut aufzulecken, war geradezu quälend. Natürlich ist das nicht reines Blut, das ist klar, aber Blut ist der Träger, und so überkam mich die für Vampire unter solchen Umständen normale Versuchung, nämlich, dieses Blut dort unten zwischen ihren Schenkeln aufzusaugen, mich so auf diese Art von ihr zu nähren, ohne sie zu verletzen. In dieser Situation war das allerdings ein absolut abscheuliches, zügelloses und unmögliches Verlangen.
    Wir schwiegen längere Zeit.
    Ich saß einfach da, auf einem hölzernen, unbequemen Stuhl, fühlte sie neben mir, jetzt aufgerichtet und mit gekreuzten Beinen; eine Packung Papiertaschentücher bot ihr die tröstliche Beschäftigung, sich die Nase zu putzen und die Augen zu trocknen, wobei sie mein seidenes Tuch immer noch zusammengeknüllt in der Hand hielt.
    Meine Gegenwart hatte eine starke Erregung in ihr ausgelöst, doch weiterhin keine Angst, und sie war immer noch zu sehr in ihren Kummer versunken, um genießen zu können, daß alles, an was sie je geglaubt hatte, sich bestätigte, daß da ein Wesen bei ihr war, pulsierend vor Leben, nichtmenschlich und doch wie ein Mensch in Aussehen und Sprache. Sie konnte das jetzt noch nicht so richtig in sich aufnehmen. Aber ganz außer acht lassen konnte sie es auch nicht. Sie war nicht dumm, ihre Furchtlosigkeit war echter Mut. Sie war von Furcht weiter entfernt, als es ein Feigling je hätte ermessen können.
    Ein Dummkopf hätte sie wahrscheinlich für fatalistisch gehalten, doch ihren Mut verdankte sie einfach der Fähigkeit, vorausschauend zu denken und so Panik gar nicht erst aufkommen zu lassen. Manche Menschen scheinen diese Haltung einnehmen zu können, wenn der Tod unmittelbar bevorsteht, in dem Wissen, daß alles vorbei, der Abschied vollzogen ist. Aus dieser tragisch-schicksalsgläubigen Perspektive heraus betrachtete sie alle Dinge.
    Ich starrte vor mich hin auf den Boden. Nein, ich durfte mich nicht in sie verlieben!
    Die bernsteinfarbenen Kiefernbohlen waren geschliffen, lackiert und gewachst worden, wunderschön sah das aus. So könnte vielleicht eines Tages dieser ganze Palazzo sein. Die Schöne und das Biest. Und was Biester betrifft, na ja, ich meine, da bin ich ein echter Knaller.
    Verdammt, war das peinlich, daß ich mir angesichts ihres Kummers noch vorstellen konnte, mit ihr die Flure entlangzutanzen!
    Ich dachte an Roger, und das ernüchterte mich sofort, und an den Unauffälligen, dieses Monster, das auf mich wartete!
    Um mich abzulenken, sah ich mich im Raum um: auf ihrem Schreibtisch zwei Telefone, ein Computer, weitere Bücher in einem Regal und in einer Ecke ein kleiner, offensichtlich nur zum Arbeiten gedachter Fernseher. Der Bildschirm war kaum fünfzehn Zentimeter im Durchmesser, doch mit der Welt draußen verbunden durch ein langes, schwarzes, sich auf dem Boden schlängelndes Kabel. Auch anderes elektronisches Handwerkszeug wies darauf hin, daß dies nicht die Zelle einer Nonne war. Und die auf Fenster- und Türrahmen gekritzelten Notizen enthielten doch tatsächlich Parolen wie »Mysterium widersetzt sich der Theologie«, »Befremdliche Erschütterung«. Der Gipfel war: »Finsterling, ich lausche«.
    Ja, dachte ich, das Mysterium widersetzt sich wirklich der Theologie, genau das hatte Roger mir zu sagen versucht, als er meinte, daß ihr Aufstieg nicht erwartungsgemäß verlief, weil diese Mischung von Mystik und Theologie in ihr keine echte Begeisterung, keine echte Magie auslösen konnte. Er hatte sie immer wieder als Theologin bezeichnet. Und seine Kunstwerke hatte er natürlich als mystisch empfunden. Was sie ja auch waren.
    Wieder stieg eine vage Erinnerung an meine Kindheit in mir auf, an die Kirche in meiner Heimat in der Auvergne, wo ich vor dem Kruzifix gestanden und von Ehrfurcht ergriffen das aufgemalte, von den Nägeln tropfende Blut

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